Prost Neujahr?

Philippa von Schönfeld - Freitag, 18.12.2020
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Warum die Forschung zu Alkohol so schwierig ist.

Dieses Jahr wird Silvester anders – Wunderkerzen statt Feuerwerk, kleine Runde statt großer Party. Doch eine Konstante bleibt: der Alkohol. Silvester ist die anerkannteste durchzechte Nacht des Jahres. Obwohl wir wissen, dass Alkohol nicht gesund ist, wachen viele am ersten Januar regelmäßig mit einem “dicken Schädel” auf. Die guten Vorsätze kommen dann mit dem ersten Glas Wasser. Doch nicht nur im echten Leben fällt es schwer, abstinent zu sein, auch die Forschung zu dem Thema hat es nicht leicht.

Ebenso wie der Alkohol ist auch dessen Erforschung mit Vorsicht zu genießen. Schon bei der Finanzierung einer Studie kann es problematisch werden, wenn die Alkohollobby sich einmischt. Diese beeinflusst nicht nur die Politik, sondern auch die Wissenschaft – Interessenkonflikte liegen nahe. Als 2017 die große randomisierte MACH15-Studie zum Effekt von moderatem Alkoholkonsum in den USA angekündigt wurde, waren die Erwartungen groß. Noch größer war die Enttäuschung ein Jahr später, als die US National Institutes of Health die Studie abbrachen; es ließen sich Verbindungen zwischen der Studienleitung und Hersteller:innen alkoholischer Getränke nachweisen. Ob das Glas Rotwein am Abend vor Herzinfarkten und Schlaganfällen schützt, bleibt unklar. Es ist schwer auszuschließen, dass andere, vom Alkohol unabhängige Faktoren wie die Lebensweise oder Komorbiditäten bei abstinenten Menschen das kardiovaskuläre Risiko erhöhen.

Der Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Herzrhythmusstörungen ist allerdings bestätigt: Wenn Herzgesunde eine große Menge Alkohol trinken, kann es im Rahmen eines sog. Holiday-Heart-Syndroms zu paroxysmalem Vorhofflimmern (VHF) kommen, das unter Abstinenz wieder verschwindet. Aber nicht nur “Binge-Drinking” erhöht das Risiko für Vorhofflimmern. Passend zu den guten Vorsätzen fürs neue Jahr lesen sich die Ergebnisse einer australischen Arbeitsgruppe von Anfang 2020: Sie untersuchte den Zusammenhang von paroxysmalem VHF und Alkoholkonsum über einen längeren Zeitraum. 140 Menschen mit bekanntem VHF und regelmäßigem Alkoholkonsum nahmen teil. Die Abstinenzgruppe schaffte es, über ein halbes Jahr ihren Konsum um 87,5 Prozent zu reduzieren; dies entsprach einer durchschnittlichen Reduktion von 17 auf 2 Drinks pro Woche. Fast zwei Drittel gelang sogar eine vollständige Abstinenz. Auch die Kontrollgruppe trank im Schnitt drei alkoholische Getränke weniger als vorher, obwohl für sie keine Lebensstiländerung vorgesehen war. Bei den abstinenten Teilnehmer:innen vergrößerten sich die Abstände zwischen den VHF-Episoden und die VHF-Last sank signifikant im Vergleich zur weitertrinkenden Kontrollgruppe.

Demnach ist der Verzicht auf Alkohol hinsichtlich VHF-Episoden sowohl kurzfristig als auch langfristig wohltuend, auch wenn die Studie letztlich eine geringere Aussagekraft hatte, als geplant. Die Arbeitsgruppe hatte Probleme bei der Rekrutierung und musste die Studienplanung grundlegend verändern. Ursprünglich erfüllten knapp 700 Personen die Anforderungen für eine Teilnahme an der Studie. Doch über 70 Prozent davon schreckten vor einer “drohenden” Abstinenz zurück und waren nicht bereit, ihr Trinkverhalten zu ändern. Am Ende konnte die Studie nur mit 140 der geeigneten Personen durchgeführt und die geplante Studiendauer musste von zwölf auf sechs Monate verkürzt werden.

Die Gesellschaft scheint nicht bereit, ihrer Alkoholkultur abzuschwören. Der Lobbyismus und die Tradition des erheiternden Getränks machen es den Menschen schwer, die empfohlenen Lebensstiländerungen umzusetzen. Vielleicht hilft einigen der Neujahrsvorsatz und das Bewusstsein, dass auch ein Glas weniger schon mehr sein kann. Und seien wir mal ehrlich: Worauf sollen wir dieses Jahr um Mitternacht überhaupt anstoßen? Außer vielleicht darauf, dass 2020 endlich zu Ende ist. 

 

Wer sich weiter informieren möchte, findet tiefergehende Infos in den Amboss-Kapiteln zu Vorhofflimmern und Alkohol.

 

Quellen

  1. DOI: 10.1038/d41586-018-05461-x, 10.1056/NEJMoa1817591, 10.5935/abc.20130153