COVID-19-Komplikation Diabetes infectiosus?

Philipp Winghart - Freitag, 12.11.2021
Mehrere CORONA-Viren sind im Begriff mit ihrem Spike-Protein an die entsprechenden Zellrezeptoren anzudocken. Die Viren sind rötlich dargestellt, Die Zelloberfläche ist weißlich glänzend.

Das Virus und die Zuckerkrankheit: Hinweise häufen sich, dass SARS-CoV-2 auch die β-Zellen des Pankreas infiziert. Wie ist der Stand der Forschung?

“Die gute Nachricht zuerst: Ihre COVID-19-Pneumonie ist rückläufig. Die schlechte: Das Virus hat bei Ihnen Diabetes ausgelöst.” Klingt wie ein Alptraum? Klinische Beobachtungen und Forschungsergebnisse legen genau dieses Szenario nahe. Ein bisher weniger beachtetes Einfallstor des Virus scheint dabei eine wichtige Rolle zu spielen. 

Zu Beginn der COVID-19-Pandemie richtete sich der klinische und wissenschaftliche Fokus vor allem auf die pulmonalen und kardiovaskulären Komplikationen einer SARS-CoV-2-Infektion. Das virale Spike-Protein wurde als Schlüssel zur menschlichen Zelle ausgemacht, Angiotensin-konvertierendes Enzym (ACE2) und die Transmembran-Serin-Protease 2 (TMPRSS2) als die Schlüssellöcher. Bald häuften sich auch klinische Berichte über Hyperglykämien, Ketoazidosen und Diabetes-Diagnosen während und nach Infektion mit dem Coronavirus. Der Verdacht: SARS-CoV-2 schädigt direkt oder indirekt die β-Zellen des Pankreas – also jene Zellen, die Insulin produzieren. 

Um diese Hypothese zu prüfen, untersuchten mehrere Forschungsgruppen, ob β-Zellen ACE2 und TMPRSS2 exprimieren. Ohne Schlüsselloch keine Infektion, so die Idee. Die Ergebnisse waren widersprüchlich: Manche wiesen niedrige Expressionsraten nach, andere gar keine. Das führte zu hitzigen Debatten: Kann das Virus auf diesem Weg überhaupt in die Pankreaszellen eindringen? Antworten darauf liefert nun eine in “Cell Metabolism” veröffentlichte Studie.

Die Forschenden nahmen darin sowohl β-Zellen als auch die glucagonbildenden α-Zellen unter die Lupe. In beiden Populationen konnten sie niedrige, aber konstante Expressionsraten von ACE2 und TMPRSS2 nachweisen. Das Schlüsselloch war also vorhanden, aber sehr klein. Gleichzeitig suchten sie nach weiteren Zugangspunkten – und wurden fündig: β-Zellen exprimierten im Gegensatz zu α-Zellen in hohem Maße Neuropilin 1 (NRP1). Eine heiße Spur, denn das Protein ist dafür bekannt, SARS-CoV-2 den Zugang zu Zellen zu erleichtern. Handelte es sich dabei um das fehlende Puzzleteil?

Um das herauszufinden, infizierten die Forschenden ex vivo mehrere Inselzell-Gewebeproben von kürzlich verstorbenen, SARS-CoV-2-negativen Menschen:

Wie erwartet infiltrierte das Virus die Pankreaszellen und reicherte sich vor allem in den β-Zellen an. Als sie einen selektiven NRP1-Antagonisten hinzugaben, sank die Anzahl nachgewiesener Viruskomponenten in den β-Zellen. SARS-CoV-2 konnte also in diese eindringen und NRP1 schien dabei eine entscheidende Rolle zu spielen. Außerdem wurden durch das Virus ausgelöste Apoptosemechanismen in den Zellen beobachtet. 

Doch wie würde sich die Infektion auf die Insulinsekretion auswirken? Um diese Frage zu beantworten, stimulierten die Forschenden das Pankreasgewebe mit Glucose: Infizierte β-Zellen produzierten daraufhin deutlich weniger Insulin als die coronafreien Zellverbände. Auch dieser Effekt ließ sich durch den NRP1-Antagonisten teilweise umkehren.

Ob sich NRP1 oder die viral-induzierten Apoptosemechanismen künftig als therapeutische Angriffspunkte nutzen lassen, bleibt abzuwarten. Auch zu den Expressionsraten von ACE2 und TMPRSS2 in β-Zellen und deren Anfälligkeit für eine Infektion mit SARS-CoV-2 ist das letzte Wort noch nicht gesprochen: Die Studienergebnisse weichen hier nach wie vor voneinander ab. Das könnte sowohl an interindividuellen Unterschieden des genutzten Pankreasgewebes als auch an Varianten der eingesetzten SARS-CoV-2-Stämme liegen. Weitere Studien auf molekularer Ebene sind daher notwendig.

Klinische Daten zu Prävalenz, Therapie und Outcome bei neu aufgetretenem Diabetes nach SARS-CoV-2-Infektion stehen ebenfalls noch aus. Das aktuelle Wissen stützt sich auf Fallberichte: In einigen sind Autoantikörper nachweisbar, in anderen nicht. Das CoviDIAB Projekt sammelt hierzu aktuell weltweit Informationen.

Viel liegt also über die β-Zell-Schädigung nach SARS-CoV-2-Infektion noch im Unklaren. Dass ein vorbestehender Diabetes mit einem hohen Risiko für komplizierte COVID-19-Verläufe einhergeht, ist allerdings gesichert. Der Weltdiabetestag am 14. November gibt also in doppelter Hinsicht Anlass, einmal mehr auf die Bedeutung der COVID-19-Impfung hinzuweisen.

 

Im AMBOSS-Podcast sprechen wir zum Weltdiabetestag  am 14.11.2021 über “Diapression”, die klinisch wichtige Komorbidität von Diabetes und Depression. 

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Weitere Informationen über COVID-19 und Diabetes sind in den entsprechenden AMBOSS-Kapiteln zu finden.

Dieser Leitfaden hilft, Fehlinformationen über die COVID-19-Impfung zu widerlegen.

 

Quellen

  1. Wu CT, Lidsky PV, Xiao Y, et al. SARS-CoV-2 infects human pancreatic β cells and elicits β cell impairment. Cell Metab. 2021;33(8):1565-1576.e5. doi:10.1016/j.cmet.2021.05.013
  2. Hoffmann M, Kleine-Weber H, Schroeder S, et al. SARS-CoV-2 Cell Entry Depends on ACE2 and TMPRSS2 and Is Blocked by a Clinically Proven Protease Inhibitor. Cell. 2020;181(2):271-280.e8. doi:10.1016/j.cell.2020.02.052