Delegieren ärztlicher Tätigkeiten: Welche Aufgaben darf ich abgeben?
Um im hektischen Krankenhausalltag sinnvoll priorisieren zu können, müssen manche Aufgaben delegiert werden. Allerdings kann es schwerwiegende Konsequenzen haben, ärztliche Tätigkeiten leichtfertig abzugeben – was ist erlaubt und was gilt es zu beachten?
Die Uhr tickt unaufhaltsam dem Schichtende entgegen und die Stationsarbeit schleicht nur langsam voran: Zwei Briefe sind noch offen, eine Aszitespunktion steht an, auf dem Flur warten Angehörige auf ein Gespräch und das Telefon steht auch nicht still. Da kommt die PJlerin ins Arztzimmer und fragt, ob sie noch etwas übernehmen soll. Doch welche Aufgaben dürfen an sie delegiert werden? Was können Medizinstudierende rein rechtlich eigenständig erledigen und was nur unter Aufsicht? Und was müssen Ärzt:innen grundsätzlich selbst machen?
Laut Approbationsordnung sollen Studierende im Praktischen Jahr “entsprechend ihrem Ausbildungsstand unter Anleitung, Aufsicht und Verantwortung des ausbildenden Arztes ihnen zugewiesene ärztliche Verrichtungen durchführen”. Was genau das bedeutet, ist individuell jedoch verschieden. Zwar werden Tätigkeiten ausgeschlossen, die “ihre Ausbildung nicht fördern”, aber der Raum zur Interpretation bleibt groß – und der Grat zwischen “zumutbar” und “überfordernd” schmal.
Wer am Anfang des praktischen Jahrs und damit am anderen Ende der delegierten Aufgaben steht, findet im Werkzeugkasten für das PJ in AMBOSS viele weitere wichtige Inhalte, um gut durch den hektischen Arbeitsalltag zu kommen. |
Delegieren im medizinischen Rahmen ist notwendig, um Zeit zu schaffen, auszubilden und Fähigkeiten zu stärken. Gleichzeitig birgt es Risiken; für mögliche Konsequenzen haftet immer das ärztliche Personal. Noch riskanter wäre aber wohl, wenn Ärzt:innen in den Berufsalltag starten würden, ohne im PJ wichtige Fähigkeiten erlernt zu haben. Dem vorbeugen will das Konzept der “Entrustable Professional Activities”: Um praktische Aufgaben zu erlernen, werden diese einer Person schrittweise immer weiter anvertraut und so deren Kompetenz stetig erweitert. Das Prinzip funktioniert in jeder Phase der ärztlichen Aus- und Weiterbildung.
Welche Aufgaben sich delegieren lassen, gibt nicht nur der gesetzliche Rahmen vor, sondern auch die individuelle Qualifikation. Bevor eine Aufgabe verteilt wird, gilt es also abzuschätzen, ob diese Person sie übernehmen kann. Wichtig ist Raum für eine ehrliche Selbsteinschätzung oder die Möglichkeit, die Aufgabe zunächst unter Aufsicht durchzuführen. Wenn gehetzt und uneindeutig kommuniziert wird, sind Missverständnisse nicht weit – deshalb dürfen ärztliche Tätigkeiten nur “ad personam” zugeteilt werden, also direkt und persönlich. Außerdem muss die delegierende Person erreichbar bleiben und ihrer Überwachungspflicht nachkommen. Wie stark kontrolliert wird, ist aber ebenfalls individuell zu entscheiden.
Als grundsätzlich delegierbar gelten unter anderem folgende Aufgaben:
- Blutentnahmen (venös und kapillär, nach Anleitung auch arteriell)
- Dauerkatheterwechsel
- Impfungen
- Intramuskuläre Injektionen
- Subkutane Injektionen
- Versorgung unkomplizierter Wunden
- Versorgung komplizierter Wunden, wenn eine regelmäßige ärztliche Kontrolle erfolgt
- Zweite oder dritte Assistenz bei Operationen
- Anamnesevorbereitung mit anschließender ärztlicher Überprüfung
- Durchführung von EKG, Lungenfunktion, Ton- und Sprachaudiometrie oder ähnlichen Messverfahren; die Befundung muss allerdings ärztlich durchgeführt oder überprüft werden
- I.v. Injektion mit Ärzt:in in Rufweite; die erstmalige i.v. Injektion eines Medikamentes ist nicht delegierbar
- Infusion mit Ärzt:in in Rufweite
- Prick-Test mit Ärzt:in in Rufweite
- Invasive Maßnahmen wie Aszites- oder Pleurapunktion; Assistenz und Durchführung unter Aufsicht
- Aufklärung unter ärztlicher Aufsicht
Die Grenzen der Delegation sind juristisch durch Gesetz, Verordnungen und Arbeitsvertrag geregelt. Daraus ergibt sich die Pflicht, ärztliche Tätigkeiten im Zweifel selbst zu leisten. Sollte sich eine Komplikation aus einer Delegation ergeben, bleiben Ärzt:innen verantwortlich: Im Rechtsfall müssen sie möglicherweise beweisen, pflichtgerecht gehandelt zu haben. Entsprechend wichtig ist es, die delegierten ärztlichen Tätigkeiten sorgfältig zu dokumentieren.
Als grundsätzlich nicht delegierbar gelten unter anderem:
- Arzneimittelverschreibung
- Anamnese
- Angehörigengespräche
- Aufklärung ohne ärztliche Aufsicht
- Begutachtung
- Beratung
- Beurteilung komplizierter Wunden, alleiniges Wundmanagement
- Diagnosestellung
- Indikationsstellung
- Invasive Therapien
- Kommunikation mit anderen ärztlichen Fachdisziplinen
- Konsilmanagement, inklusive Arztbriefe ohne ärztliches Gegenlesen
- Management auftretender Komplikationen
- Therapieentscheidung
- Therapie mit Körperersatzstoffen, Hormonen etc.
- Transfusionen (Abnahme von Kreuzblut, Durchführen der Kreuzprobe, Anhängen von Erythrozytenkonzentraten)
- Untersuchung der zu versorgenden Person einschließlich invasiver diagnostischer Maßnahmen (von Studierenden durchgeführte körperliche Untersuchungen sind von ärztlicher Seite zu überprüfen)
- Operationen
- Versorgung von Thoraxdrainagen
- Anlage zentralvenöser Zugänge
Wenn die PJlerin also ins Arztzimmer huscht und fragt, was sie noch übernehmen soll, ist die Antwort schwieriger als erwartet. Wer etwas abgeben möchte, muss eine Balance zwischen freiem Arbeiten und engmaschiger Überwachung finden. Solange jedoch die individuelle Einschätzung, eine Aufsicht oder Kontrolle sowie die Dokumentation bedacht sind, kann das Delegieren ärztlicher Aufgaben die Abläufe glätten und den Arbeitsalltag für alle Beteiligten verbessern.
Quellen
- https://www.aerzteblatt.de/archiv/167261/Delegation-aerztlicher-Leistungen-an-nichtaerztliches-Personal-Moeglichkeiten-und-Grenzen
- https://www.bundesaerztekammer.de/richtlinien/thematische-uebersicht/delegation/
- https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/d/delegation-aerztlicher-leistungen.html
- Approbationsordnung 2002