Die Ernährung im Krankenhaus verbessern – so geht's

Philipp Winghart - Sonntag, 29.1.2023
Eine alte Patientin isst ein vegetarisches Mittagessen. Ernährung im Krankenhaus im AMBOSS-Blog.

Die Ernährung in Krankenhäusern beeinflusst nicht nur die individuelle, sondern auch die öffentliche Gesundheit. Wie lässt sie sich verbessern?

Was im Krankenhaus auf den Teller kommt, wirkt sich auf die Genesung der Patient:innen aus und dient im Idealfall als Vorbild für Zuhause. Im AMBOSS-Podcast erklären die angehende Ernährungsmedizinerin und Internistin Dr. med. Kristin Hünninghaus und Niklas Oppenrieder, Mitgründer der Physicians Association for Nutrition e.V. (PAN), wie sich die Ernährung in Krankenhäusern verbessern lässt und welche Folgen das für die globale Gesundheit hat. 

Auf einen Blick

  1. Die Planetary Health Diet – Ernährung global denken
  2. Ernährungsmedizinischer Handlungsbedarf
  3. Ernährung im Krankenhaus mitgestalten 
  4. Gesunde Ernährung und die Sorge vor negativen Reaktionen
  5. Chancen für das Gesundheitswesen

Die Planetary Health Diet – Ernährung global denken

Etwa 20 Millionen Patient:innen und zwei Millionen Angestellte essen pro Jahr in deutschen Krankenhäusern. Trotzdem gibt es kaum Daten darüber, was auf den Stationen und in den Kantinen täglich serviert wird. Nur etwa 4 % der Krankenhäuser haben ihre Verpflegung durch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung zertifizieren lassen. Dabei ist eine gute Ernährung auch im Krankenzimmer elementar: Zahlreiche Zivilisationskrankheiten sind auf eine ungesunde Ernährung zurückzuführen. Das Essen im Krankenhaus sollte daher eine Vorbildfunktion einnehmen und im besten Fall auch zu einer besseren Ernährung im Alltag führen.

Aber wie sieht eine gesunde Ernährung im Krankenhaus aus? Für Niklas Oppenrieder ist es dabei vor allem wichtig, individuelle und planetare Gesundheit als Einheit zu verstehen. “Das muss gemeinsam gedacht werden”, so der Ernährungsexperte, “die Klimakrise ist die größte Bedrohung der globalen Gesundheit und des Gesundheitswesens.” Oppenrieder schlägt daher vor, sich an der sogenannten Planetary Health Diet zu orientieren. Diese sieht vor, den Konsum von Hülsenfrüchten, Nüssen, Obst und Gemüse zu verdoppeln und den von Zucker und Fleisch zu halbieren. So ließen sich laut Kristin Hünninghaus bis zum Jahr 2050 etwa 10 Milliarden Menschen gesund und innerhalb der planetaren Grenzen ernähren. Zudem würde die Planetary Health Diet über 10 Millionen ernährungsbedingte Todesfälle pro Jahr verhindern.

Ernährungsmedizinischer Handlungsbedarf

Bei der ernährungsmedizinischen Versorgung besteht laut Hünninghaus dringender Handlungsbedarf: “Circa 30 % der Patient:innen haben schon bei Aufnahme eine Mangelernährung und 30–80 % nehmen während eines stationären Aufenthalts ungewollt ab.” Dabei geht vor allem Muskelmasse verloren, was die Genesung beeinträchtigt. Die angehende Ernährungsmedizinerin empfiehlt daher, gerade bei geschwächten Patient:innen die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ernährungsfachkräften und Mediziner:innen zu stärken. “Viele haben gar nicht auf dem Schirm, dass man da Konsile stellen kann”, so Hünninghaus, “ob es die Chirurgie ist, die Internisten, die HNO – in jeder Abteilung gibt es dieses Problem der Mangelernährung.”

Oppenrieder empfiehlt außerdem mehr Screenings auf Mangelernährungen. So ließen sich Komplikationen, Verweildauer und Sterblichkeit reduzieren, was sowohl medizinisch als auch betriebswirtschaftlich sinnvoll sei. Zudem fordert er mit PAN und weiteren Partnerorganisationen verpflichtende Standards, um sowohl die Krankenhausernährung als auch die ernährungsmedizinische Versorgung zu verbessern.

Über den bidirektionalen Zusammenhang zwischen globalen Klima- und Umweltveränderungen sowie unserer Ernährungsweise informiert das AMBOSS-Kapitel Planetary Health – Grundlagen.

ZUM AMBOSS-KAPITEL

Ernährung im Krankenhaus mitgestalten 

Wer das Essen im eigenen Krankenhaus aufwerten möchte, steht vor vielen Aufgaben. “Erst einmal denkt man immer, man ist ohnmächtig, man ist allein mit der Idee, im Krankenhaus etwas zu verändern; aber man muss sich einfach trauen und loslegen”, erinnert sich Hünninghaus an den Beginn ihrer Arbeit. Die Assistenzärztin krempelt aktuell den Speiseplan an der Universitätsmedizin Essen um. Sie empfiehlt, sich als Erstes zu vernetzen. “Es ist wichtig, alle Stakeholder vor Ort kennenzulernen: den Küchenchef, die leitende Diätassistentin – alle, die für den Menüplan verantwortlich sind.” Sobald ein Konzept steht, rät Hünninghaus, sich mit der Geschäftsleitung zu besprechen. ”Wir erleben, dass man immer auch Verbündete im Krankenhaus findet, die sagen: Vielen Dank, darauf habe ich gewartet!”, ergänzt Oppenrieder.

Manchmal scheinen allerdings wirtschaftliche Bedenken die Änderungspläne auszuhebeln. Das Budget für Krankenhausernährung ist laut Hünninghaus in den letzten Jahren geschrumpft. Frühstück, Mittagessen, Zwischenmahlzeit und Abendessen dürfen pro Tag zusammen nicht mehr als fünf Euro kosten. “Trotzdem kann es gelingen, dass das Krankenhausessen gesünder, nachhaltiger und vor allen Dingen auch leckerer ist”, so die Ernährungsexpertin. Das sei auch kostenneutral möglich. Ein wichtiger Hebel dafür ist die Lebensmittelverschwendung. Gerade bei der OP-Planung oder dem Aufnahme- und Entlassmanagement lassen sich Prozesse so optimieren, dass weniger Lebensmittel im Mülleimer landen. Das eingesparte Geld ließe sich wiederum für neue Rezepturen und gesündere Lebensmittel verwenden. “Das Gesunde muss das Einfache werden – und im besten Fall auch die günstigere Entscheidung”, fasst Oppenrieder zusammen.

Gesunde Ernährung und die Sorge vor negativen Reaktionen

Pflanzliche Ernährung spart zusätzliche Kosten, denn Fleisch ist teuer. “Eine riesige Sorge ist, dass man hier auf viel Reaktanz seitens der Mitarbeitenden und der Patient:innen trifft”, so Hünninghaus. Sie hebt hervor, dass vegetarische oder vegane Gerichte deswegen unbedingt gut schmecken müssen, “dass man sehr attraktive Gerichte anbietet, die nicht nur lecker klingen und aussehen, sondern es auch tatsächlich sind." Wer darüber hinaus transparent über geplante Änderungen spricht, schafft zusätzliche Akzeptanz. “Viele Krankenhäuser streben an, klimaneutral zu werden. Die Ernährung ist immerhin für 17 % der Umweltauswirkungen verantwortlich”, so die angehende Ernährungsmedizinerin.

Laut Oppenrieder führt ein vorwiegend pflanzlicher Menüplan zudem seltener als befürchtet zu Konflikten. “Das ist verschwindend gering im Vergleich dazu, wie viele Menschen da täglich essen”. So haben kürzlich elf Krankenhäuser in New York mit Erfolg ihre Ernährung umgestellt. Sie bieten nun standardmäßig immer ein veganes Hauptgericht an. Nur wenn Patient:innen aktiv danach fragen, bekommen sie Fleischgerichte. “Das hat enormen Erfolg“, so Oppenrieder. Obwohl nur etwa 1 % der New Yorker Patient:innen vegetarisch leben, wählen inzwischen über 60 % vegane Gerichte.

Chancen für das Gesundheitswesen

Eine gesunde und nachhaltige Krankenhausernährung birgt Oppenrieder zufolge große Chancen für die Zukunft: “Wir wissen, dass ein Großteil der Erkrankungen, mit denen wir im Gesundheitssystem zu kämpfen haben, ernährungsbedingt sind.” Würde sich der Speiseplan hierzulande in Richtung der Planetary Health Diet bewegen, könnte sich das auf das Gesundheitswesen als Ganzes auswirken. “Das würde viele neue Spielräume ermöglichen”, so Oppenrieder, “vielleicht auch den Spielraum, wieder ganz normal zu arbeiten und nicht in vollkommen verrückten Zuständen – weil wir kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes, aber auch Krebserkrankungen massiv reduzieren könnten.”

 

Niklas Oppenrieder ist Arzt und Mitbegründer der international agierenden Organisation Physicians Association for Nutrition e.V. Diese arbeitet mit medizinischen Fachkräften daran, Ernährung in der Patientenversorgung wirksam einzusetzen und Ernährungsumgebungen zum Wohle der menschlichen und planetaren Gesundheit zu verändern.

Dr. med. Kristin Hünninghaus ist Assistenzärztin für Innere Medizin und angehende Ernährungsmedizinerin. Sie entwickelt und untersucht am Universitätsklinikum Essen ein gesundes und nachhaltiges Ernährungskonzept.

 

Die Podcastfolge "Ernährung im Krankenhaus" mit Dr. med. Kristin Hünninghaus und Niklas Oppenrieder. 

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