Es liegt auf der Hand
Warum das Händewaschen so viel Aufmerksamkeit verdient.
“Nach dem Klo und vor dem Essen – Händewaschen nicht vergessen!”, Kinderreime wie diesen gibt es viele. Kurz und eingängig helfen sie dabei, wichtige Aspekte des Lebens zu verinnerlichen, z.B. die Händehygiene. In diesem Jahr hat das Händewaschen durch die COVID-19-Pandemie deutlich an Präsenz gewonnen. Wie nachhaltig beeinflusst dieses neue Bewusstsein die Gesellschaft und was sind die Folgen für das Gesundheitssystem, hierzulande wie auch international? Ein Text zum 15. Oktober – dem internationalen Welthändewaschtag.
Der Rummel um das Händewaschen ist wohlverdient. Es ist eine kostengünstige Prävention für alle: Akute respiratorische Erkrankungen können um bis zu 20 Prozent verringert werden, Durchfallerkrankungen reduzieren sich sogar beinahe um die Hälfte. Und doch wurde in Studien zur Händehygiene bislang v.a. aufgedeckt, wie lückenhaft die Alltagsroutine der Bevölkerung ist. Die dazu veröffentlichten Zahlen schockieren immer wieder. Zuletzt befragte die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) im Jahr 2017 repräsentative Teile der Bevölkerung zum Thema Händewaschen. Knapp über 4.000 Menschen wurden dafür telefonisch kontaktiert. Nahezu alle Teilnehmer:innen waren sich einig, dass die Händehygiene vor Infektionen schützen kann. Dennoch berücksichtigten nur 51 Prozent die empfohlene Waschdauer von 20 Sekunden. Ebenfalls ungefähr die Hälfte gaben an, sich (fast) immer die Hände in den nachfolgenden empfohlenen Situationen zu waschen: Nachdem nach Hause kommen (50%), nach der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel (46%) oder vor einem Besuch bei gesundheitlich geschwächten Menschen (56%).
Inmitten einer Pandemie wirken die Ergebnisse geradezu grotesk: Nach dem Händeschütteln wusch sich nicht mal jeder Zehnte die Hände. Drei Jahre und eine großflächig ausgebreitete Infektionskrankheit später haben ein freundliches Zunicken oder ein legerer Ellbogencheck das Händeschütteln weitläufig ersetzt. Durch Maßnahmen wie Abstandsregelungen und Maskenpflicht ist Infektionsprävention Teil des Alltags geworden.
Positiv zu vermerken ist, dass Bürger:innen sich im Zuge dessen auch selbstständig vermehrt zur Händehygiene informieren. Eine Studie von Lin et al. verglich die Google-Sucheinträge nach den Schlüsselbegriffen “wash hands” und “face mask” Anfang des Jahres 2020 in 21 Ländern. Im Ergebnis stellten die Wissenschaftler:innen fest, dass vermehrte Suchen mit einer geringeren COVID-19-Ausbreitung korrelierten. Das Fazit scheint wenig überraschend, betont aber, wie wichtig gesellschaftliches Wissen und Akzeptanz bei Präventionsmaßnahmen sind.
Aber was nützt das Bewusstsein für präventive Maßnahmen wie dem Händewaschen, wenn der Zugang zu fließendem Wasser und Seife fehlt? 2019 war es mehr als 2 Milliarden Menschen weltweit in ihrem Haushalt nicht möglich, sich die Hände zu waschen. Mehr als ein Viertel der Weltbevölkerung hat also keinen Zugang zu fließendem Wasser oder Seife. In der aktuellen Studie dazu wurden außerhaushaltliche Sanitäreinrichtungen vernachlässigt, dafür aber ein Überblick pro Person und nicht pro Haushalt geschaffen. In Bezug auf die Krankheitsübertragung ist gerade in bevölkerungsdichten Ländern mit verhältnismäßig vielen Menschen pro Haushalt die Lage besonders kritisch. Inadäquate Ressourcen zum Händewaschen waren Schätzungen zu Folge 2017 für mehr als ein Drittel der globalen Durchfallerkrankungen verantwortlich. Alkoholhaltiges Desinfektionsmittel ist in Ländern mit geringerem durchschnittlichem Einkommen nur bedingt eine Alternative zum Aufbau von Sanitäreinrichtungen. Zwar kann es deutlich schneller zugänglich und damit temporär hilfreich sein, aber es muss nachhaltig und möglichst lokal produziert werden und kann durch seine Entflammbarkeit große Schäden anrichten. Der Fokus liegt also auf der Wasserversorgung. Und auch wenn diese stetig ausgebaut wird, scheint das Ziel 6 der UN-Agenda 2030 in weiter Ferne: die Mission, die Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle zu gewährleisten.
Ein positiver Effekt des erhöhten Bewusstseins und der neuen sozialen Hygieneetikette ist der Rückgang anderer Krankheiten, die sich durch Tröpfcheninfektionen übertragen können. So gehen Fälle von Masern, Röteln und Varizellen weltweit verstärkt zurück. Auch die jährliche Grippewelle war in der Saison 2019/20 mit elf Wochen verhältnismäßig kurz. Laut Robert Koch-Institut hing dies insb. mit den Schulschließungen aufgrund der COVID-19-Pandemie zusammen, da Kinder bei der Verbreitung der Grippe eine große Rolle spielen.
Gleichzeitig geraten jedoch andere Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, Malaria und HIV aus dem Blickfeld. Testkapazitäten werden nun priorisiert für COVID-19 eingesetzt, Hilfsorganisationen werden in ihrer wichtigen Arbeit eingeschränkt, Medikamente sind schlechter verfügbar. Laut Schätzung der UN-Organisation “Stop TB Partnership” könnte ein dreimonatiger Lockdown innerhalb der nächsten fünf Jahre zu 1,4 Millionen Tuberkulose-Toten zusätzlich führen. Außerdem warnt die WHO, dass sich im Worst-Case-Szenario die Malaria-Todesfälle in Subsahara-Afrika im Vergleich zu 2018 verdoppeln könnten – ein Rückschritt zu Mortalitätsraten wie zuletzt im Jahr 2000. Es sind düstere Ausblicke zu Erkrankungen, die verhindert und behandelt werden können. Das Bewusstsein für die negativen Folgen einer Ressourcenumverteilung aufgrund von COVID-19 ist wichtig und ein weiterer Motivator, alles daran zu setzen, die Pandemie zu überwinden. Das bringt uns zurück zur einfachsten Präventionsmethode: dem Händewaschen.
Der Welthändewaschtag widmet sich dieses Jahr aus gegebenem Anlass besonders der COVID-19-Pandemie. In diesen kritischen Zeiten geht es um kreative Wege, Menschen zum Händewaschen und somit zur Prävention zu motivieren. Initiator dabei ist die Global Handwashing Partnership. Das diesjährige Motto ist “Hand Hygiene for All”. Also: Auf ins Bad und zur Feier des Tages eine extra Runde Händewaschen!
Wie wichtig Hygiene im ärztlichen Alltag ist und weitere Inhalte zu COVID-19 findest du in den AMBOSS-Kapiteln Antisepsis und COVID-19.
Quellen
- https://globalhandwashing.org/global-handwashing-day/
- Repräsentativbefragung 2017 der BZgA
- How coronavirus lockdowns stopped flu in its tracks - Artikel Nature Journal
- RKI Epidemiologisches Bulletin 2020/16
- Modeling Analysis der Stop TB Partnership
- Modeling Analysis der WHO zu Malaria, DOI: 10.1016/j.bbi.2020.04.020