Operieren in der Schwangerschaft: So geht’s

Maria Strandt - Freitag, 4.3.2022
Eine schwangere Chirurgin sitzt mit einem Klemmbrett in der Hand auf einem Stuhl.

Mutterschutz in der Medizin muss kein Beschäftigungsverbot bedeuten. Was Ärztinnen tun können, um in der Schwangerschaft weiter zu operieren.

Ich bin schwanger – wann sag ich’s der Leitung? Vor dieser Frage stehen viele Chirurginnen im Lauf ihrer Karriere. Schließlich riskieren sie, dass der Arbeitgeber ein Beschäftigungsverbot ausspricht oder sie nur noch zu Verwaltungstätigkeiten heranzieht. Einer Umfrage des Deutschen Ärztinnenbunds (DÄB) zufolge haben über 60% der befragten Medizinerinnen während der Schwangerschaft deutliche Einschränkungen in ihrer ärztlichen Tätigkeit erfahren. Für Assistenzärztinnen bedeutet das eine erhebliche Unterbrechung ihrer Facharztausbildung, fällt doch die Familiengründung häufig in die Weiterbildungszeit. Die Folge: Mehr als 40% der befragten Ärztinnen gaben an, sie hätten Bedenken gehabt, ihrem Arbeitgeber die Schwangerschaft mitzuteilen. Das Mutterschutzgesetz kann seine Funktion jedoch nicht erfüllen, wenn die Schwangerschaft nicht offiziell bekannt ist. Bevor Frauen sie ihren Vorgesetzten mitteilen, haben sie keinen Anspruch auf sinnvolle Schutzmaßnahmen – etwa das Nachtdienstverbot. Was können Chirurginnen also tun, wenn sie weiter operieren wollen, ohne ihre Schwangerschaft zu verheimlichen?

Gut vorbereitet ins Personalgespräch

Entscheidend ist nicht nur wann, sondern auch wie Ärztinnen die Schwangerschaft ihren Vorgesetzten bekannt geben. Bessere Chancen auf eine gemeinsame Lösung hat, wer das Gespräch gut vorbereitet. Dabei gilt es zunächst, die gesundheitlichen Voraussetzungen zu klären: “Der erste Gang führt zur Gynäkologin oder zum Gynäkologen, um festzustellen, ob mit der Schwangerschaft alles in Ordnung ist”, sagt Dr. Maya Niethard, Projektleiterin der Initiative Operieren in der Schwangerschaft (OPidS). Hier wird auch der Immunstatus der Schwangeren überprüft – gegen Erkrankungen wie Hepatitis B sollten Mediziner:innen ohnehin geimpft sein. 

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Eine Schwangere sollte vor dem Gespräch außerdem überlegen, welche Tätigkeiten sie weiterführen möchte. In welchem Umfang möchte sie weiterhin an der Patientenversorgung beteiligt sein? Wissenschaftliche und organisatorische Aufgaben können eine Alternative sein. Wer weiter klinisch tätig sein möchte, kann einen Blick in den Weiterbildungskatalog werfen: Welche Prozeduren fehlen noch, die auch in der Schwangerschaft machbar sind? Gibt es womöglich bereits ein klinikinternes Konzept für schwangere Operateurinnen? Checklisten des DÄB und der Initiative OPidS helfen, bei der weiteren Organisation von der Infektionsprophylaxe bis zur Sitzgelegenheit im OP nichts zu vergessen. Dr. Marie Samland, stellvertretende Leitung des Jungen Forum O und U der DGOU und des BVOU und dort aktiv in der Sektion Familie und Beruf rät dazu, auch den Vorgesetzten Zeit zu geben, sich im Vorfeld Gedanken zu machen: “Beispielsweise kann man fragen: Können wir nächste Woche einmal sprechen? Es geht darum, dass ich schwanger bin.” 

Ziel des Gesprächs ist es, einen Fahrplan für die kommende Zeit zu finden. Dabei könnten Schwangere durchaus selbstbewusst für ihre Interessen einstehen, findet Samland: “Es ist ja keine Bestrafung des Arbeitgebers, wenn eine Arbeitnehmerin schwanger wird. Vorgesetzte müssen damit rechnen, dass Mitarbeitende eine Familie gründen. Gleichzeitig ist es nicht mehr so leicht wie früher, Stellen zu besetzen. Dadurch erkennen immer mehr Kliniken, dass sie die Arbeitsbedingungen familienfreundlich gestalten müssen, um ihre Angestellten zu halten.” 

Die individuelle Gefährdungsbeurteilung

Dann wird es ganz konkret: Die Arbeit in einem Operationssaal birgt Risiken für eine Schwangere und ihr ungeborenes Kind, zum Beispiel Infektionen und Narkosegase. Das Mutterschutzgesetz legt fest, dass Arbeitgeber auch ohne konkreten Anlass ermitteln müssen, welche Gefährdungen es für Schwangere und Stillende gibt und welche Schutzmaßnahmen sich eignen. Teilt eine Mitarbeiterin dann ihrem Arbeitgeber mit, dass sie schwanger ist, so muss er die entsprechenden Schutzmaßnahmen umsetzen und ihr ein Gespräch über weitere Anpassungen anbieten. Meist ist es Aufgabe des betriebsärztlichen Dienstes, gemeinsam mit der Schwangeren die im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen auszuarbeiten. Das Ergebnis ist die individuelle Gefährdungsbeurteilung. Diese leitet der Arbeitgeber an die zuständige Aufsichtsbehörde – meist die Gewerbeaufsicht – weiter, die wiederum eine Empfehlung darüber ausspricht, ob die Anpassungen ausreichen. Dieser Prozess kostet Zeit, sodass es vorteilhaft sein kann, die Schwangerschaft – anders als viele Frauen es derzeit handhaben – eher früh bekanntzugeben.

Wer haftet, wenn etwas schiefgeht?

Ein Grund für die gängige Praxis, Schwangere aus der operativen Tätigkeit herauszunehmen, sind Sorgen vor Schadenersatzansprüchen, falls Mutter oder Kind durch arbeitsbezogene Einflüsse zu Schaden kommen. Das Mutterschutzgesetz besagt hierzu, dass Arbeitgeber Schwangere keiner “unverantwortbaren Gefährdung” aussetzen dürfen. Doch was eine unverantwortbare Gefährdung darstellt, ist nicht klar definiert. Niethard von der Initiative OPidS kann die Angst vor juristischen Konsequenzen nachvollziehen, weist allerdings darauf hin, dass es ihrer Kenntnis nach bisher in Deutschland keinen Fall gab, bei dem ein Arbeitgeber belangt wurde, weil seine Arbeitnehmerin in der Schwangerschaft weiter operiert hat.

Ein Rechtsgutachten zum Arbeiten und Operieren in der Schwangerschaft – in diesem Fall in der Urologie – kommt zu dem Schluss, dass das Haftungsrisiko des Arbeitgebers nicht steigt, wenn er die Vorschriften des Mutterschutzgesetzes berücksichtigt. Pauschale Beschäftigungsverbote seien zudem nicht zulässig, so Niethard. “Wenn Arbeitgeber keine individuelle Gefährdungsbeurteilung durchführen und stattdessen ein pauschales Beschäftigungsverbot aussprechen, diskriminieren sie die Schwangere und verstoßen damit gegen ihre auch grundrechtlich geschützten Interessen auf Berufsausbildungs- und Berufsausübungsfreiheit. Daran hängt viel: Wird sie beispielsweise dadurch später Fachärztin, hat sie ein niedrigeres Einkommen, verdient weniger als die Männer in ihrem Umfeld und hat dann auch eine geringere Rente.”

Für Arbeitgeber kann es jedoch finanziell attraktiver sein, ein Beschäftigungsverbot auszusprechen als den Arbeitsplatz anzupassen: “Ist eine Schwangere im Beschäftigungsverbot, erhält der Arbeitgeber die Kosten für ihr Gehalt von der Krankenkasse erstattet. Damit kann die vermeintlich freie Stelle von jemandem besetzt werden, der auch Dienste machen kann”, sagt Niethard. Hier finde jedoch langsam ein Umdenken statt: “Viele Frauen haben schon eine berufliche Expertise, wenn sie schwanger werden, und können nicht von einem Tag auf den anderen ersetzt werden. Immer mehr Vorgesetzte erkennen das und stellen sich hinter ihre schwangeren Mitarbeiterinnen.”

Operieren in der Schwangerschaft – aber sicher!

Wie kann das Operieren in der Schwangerschaft konkret aussehen? Grundsätzlich können Schwangere kürzere, elektive Operationen übernehmen, Notfälle und Nachtdienste sind tabu. Sogenannte Positivlisten mit erlaubten Operationen existieren derzeit noch nicht flächendeckend. Es gibt allerdings einzelne Beispiele: So hat die Uniklinik Schleswig-Holstein einen Leitfaden für die Allgemeinchirurgie entwickelt, der beispielsweise laparoskopische Operationen, aber auch Teileingriffe bei größeren viszeralchirurgischen Eingriffen aufführt.

Einige Sicherheitsvorkehrungen gibt es darüber hinaus zu beachten. Dazu gehört die Absprache mit der Anästhesie: Schwangere sollten keinen Narkosegasen ausgesetzt werden, da bisher nicht bekannt ist, ob und ab welchem Grenzwert die Exposition dem ungeborenen Kind schaden kann. Es kommen also nur Operationen mit total intravenöser Anästhesie (TIVA) oder Regionalanästhesie infrage. 

Auch für den Umgang mit Röntgenstrahlung lassen sich Lösungen finden, sagt Niethard: “Wer den Kontrollbereich einer Strahlenquelle oder den Operationssaal während der Röntgenaufnahme verlässt, hat keine Strahlenbelastung.” Wenn zum Beispiel bei einer Materialentfernung nur am Anfang und am Ende geröntgt wird, kann die Schwangere während der Aufnahmen hinausgehen und so auch an solchen Operationen teilnehmen.

Es gilt darüber hinaus, das Infektionsrisiko zu minimieren, indem Patient:innen im Vorfeld auf blutübertragbare Erreger wie Hepatitis C und HIV getestet werden. Die Infektionsprophylaxe ist also noch ein weiterer Grund, genügend Zeit zwischen der Blutentnahme und der Operation einzuplanen, damit die Laborergebnisse rechtzeitig vor dem Eingriff vorliegen. Doppelte Indikatorhandschuhe, ein Schutzvisier und stichsichere Instrumente können das Risiko weiter senken.

Derzeit stellt SARS-CoV-2 ebenfalls ein Infektionsrisiko dar. Der Arbeitgeber muss grundsätzlich sicherstellen, dass für die Schwangere an ihrem Arbeitsplatz kein höheres Ansteckungsrisiko als in ihrem privaten Umfeld besteht. Hier unterscheidet sich die Pandemie von vorangegangenen Grippewellen: Gesellschaftliche Schutzmaßnahmen wie 2G-Regelungen verringern das sogenannte allgemeine Lebensrisiko, sodass auf der Arbeit besondere Maßnahmen erforderlich sind. Auch an dieser Stelle sorgt Corona für Verunsicherung. Ein Informationspapier des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend stellt klar: Schwangere sollten nur Patient:innen versorgen, bei denen eine COVID-Infektion sicher ausgeschlossen ist, und sich zusätzlich durch Impfungen und Masken schützen. Wie das Virus sich nach dem Übergang in eine endemische Lage auf Mutterschutzvorgaben auswirken wird, bleibt abzuwarten.

Nicht jede Ärztin möchte weiter operieren

Gerade weil inzwischen fast die Hälfte der berufstätigen Mediziner:innen Frauen seien, könne die Gesellschaft es sich nicht leisten, sie im Falle einer Schwangerschaft pauschal ins Beschäftigungsverbot zu schicken, so Niethard. Doch kann es auch eine Entlastung darstellen – etwa für Ärztinnen, die von Natur aus vorsichtiger sind, deren Schwangerschaft beschwerlich ist oder die besorgt sind, weil sie zum Beispiel erst nach einer Fertilitätsbehandlung schwanger werden konnten. Gemeinsam mit ihren Vorgesetzten können Schwangere überlegen, ob sie andere Tätigkeiten wie Verwaltungsarbeiten übernehmen, um wertvolle Weiterbildungszeiten nicht zu verlieren. Ist dies nicht möglich oder erwünscht, können die betreuenden Gynäkolog:innen weiterhelfen, indem sie ein ärztliches Beschäftigungsverbot aussprechen. Das bedeutet, dass es aus medizinischen Gründen nicht möglich ist, den eigenen Beruf weiter auszuüben. “Auch psychische Belastungen werden durch den Mutterschutz berücksichtigt und ermöglichen ein ärztliches Beschäftigungsverbot. Dazu zählt unter anderem, wenn Vorgesetzte oder Teammitglieder die Schwangere unter Druck setzen, weiterzuarbeiten. Auch individuelle Faktoren können mit den behandelnden Gynäkolog:innen besprochen werden, denn wer beispielsweise schon eine Fehlgeburt erlebt hat, geht mit einer Schwangerschaft anders um. Das ärztliche Beschäftigungsverbot schützt die Schwangeren hier sehr gut”, sagt Niethard.

Still- und Elternzeit in der Klinik

Ob in der Schwangerschaft weiter operiert wird oder nicht – nach der Geburt gilt das Mutterschutzgesetz weiter: So sind auch in der Stillzeit Nachtdienste verboten. Manche Gefährdungen betreffen das Kind dann allerdings nicht mehr, beispielsweise muss die Mutter beim Röntgen nur noch die regulären Schutzmaßnahmen einhalten. Auch für die Väter interessant: Wer sich der Klinik bereits während der Elternzeit schrittweise wieder annähern möchte, darf theoretisch bis zu 30 Stunden in der Woche arbeiten. “Wer in dieser Phase zum Beispiel einen Dienst pro Woche leistet, bleibt fachlich am Ball, erleichtert sich den Wiedereinstieg und entlastet das Team”, sagt Samland vom Jungen Forum O und U. Insgesamt sei es empfehlenswert, die Kolleginnen und Kollegen mit ins Boot zu holen: “Wahrscheinlich haben auch noch andere einen Kinderwunsch, da kann gegenseitige Unterstützung das gesamte Team stärken.” 

In der Kommunikation mit Vorgesetzten und Mitarbeitenden ist es wichtig, die eigenen Möglichkeiten und Bedürfnisse klar zu äußern, um gemeinsam Lösungen zu finden. Dabei können flexible Teilzeitmodelle helfen: Beispielsweise können zwei Mitarbeitende sich eine Vollzeitstelle teilen. Hier ist Kreativität gefragt. “Eine familienfreundliche Chirurgie zu schaffen, ist weiterhin Pionierarbeit”, sagt Samland: “Wir müssen lernen, uns die Lösungen zu erarbeiten. Es ist aber auch schön, diesen Prozess mitgestalten zu können.”

 

Zum Weiterlesen

Die Initiative OPidS beschreibt auf ihrer Website detailliert, mit welchen Schutzmaßnahmen der Arbeitsplatz OP sich für Schwangere anpassen lässt.

Der Deutsche Ärztinnenbund stellt ebenfalls Ressourcen rund um das Thema Schwangerschaft und Mutterschutz zur Verfügung.

Welche Prozeduren in der Schwangerschaft erlaubt sind, ist nicht nur für Chirurginnen interessant. Für die Anästhesie hat der Berufsverband Deutscher Anästhesisten eine Positivliste erstellt.