Die Unerreichten erreichen: neue Hoffnung in der Malaria-Prävention
Kleine Mücke, großes Problem: Jedes Jahr sterben 600.000 Menschen an Malaria, zwei Drittel davon sind Kinder. Ein Impfstoff gibt Anlass zur Hoffnung.
Heller Stoff flattert durch die Nacht. Ein Kind schlummert friedlich darunter, während eine Mücke hungrig und verärgert umhersummt. Mit Insektiziden behandelte Moskitonetze bilden bis heute den Grundstein der Malaria-Prävention. Seit dem Jahr 2000 haben diese und andere gesundheitspolitische Strategien die globale Malaria-Mortalitätsrate halbiert und über zehn Millionen Todesfälle verhindert. Im letzten Jahr konnten China und El Salvador für malariafrei erklärt werden.
Trotz dieser Erfolge hat die WHO ihre aktuellen Ziele verfehlt. Seit einigen Jahren wird Malaria wieder häufiger statt seltener. Vier Aspekte gefährden den bisherigen Fortschritt: 1. dehnt die Anopheles-Mücke ihren Lebensraum stetig aus, 2. zeigt sie zunehmend Resistenzen gegen Insektizide, 3. führen Gendeletionen in Parasiten zu falsch-negativen Tests und 4. entwickeln auch sie wiederum Medikamentenresistenzen. Dazu erschwert nun die COVID-19-Pandemie Prävention, Diagnostik und Behandlung von Malaria. So verstarben im ersten Jahr der Pandemie 69.000 Menschen zusätzlich an Malaria, und die Meilensteine, die die WHO für 2020 angesetzt hatte, sind weit entfernt von der Realität: Die Malaria-Sterblichkeit betrug 15,3 Prozent – und war damit fast doppelt so hoch wie angestrebt.
Der erste zugelassene Malaria-Impfstoff
Nun gibt es neue Hoffnung in der Prävention: Ein Pilotprojekt der WHO untersucht die sogenannte RTS,S-Impfung, die sich gegen Plasmodium falciparum richtet – dem tödlichsten und am weitesten verbreiteten aller Malariaparasiten. Die Phase-4-Studie findet in Ghana, Malawi und Kenia statt. Seit 2019 wurden dort über 800.000 Kinder mit mehr als zwei Millionen Dosen immunisiert. Das Impfschema sieht vier Dosen vor: Die erste wird ab dem Alter von fünf Monaten angeboten, die letzte soll gegen Ende des zweiten Lebensjahres gegeben werden. Über 30 Jahre Forschung sind in die Entwicklung des rekombinanten Protein-basierten Impfstoffs geflossen. Es ist das erste zugelassene Vakzin gegen einen Parasiten, der Menschen befällt. Die Impfung soll das Immunsystem in die Lage versetzen, den Parasiten auf seinem Weg in die Leber als Brutstätte aufzuhalten. So wird der Zyklus der Plasmodien unterbrochen.
Wie wichtig das ist, zeigen Daten, die erst Ende letzten Jahres veröffentlicht wurden: Eine Forschungsgruppe hat mithilfe einer neuen Berechnungsmethode die Sterblichkeitsrate von Kindern unter 5 Jahren präziser erfasst. Ihr ernüchterndes Ergebnis: Die Malaria-Mortalität in dieser Altersgruppe wurde bislang deutlich unterschätzt. Für die Studie wurden unter anderem sogenannte “Verbal Autopsy Studies” betroffener Länder ausgewertet. Dabei gibt die Bevölkerung Auskunft zu Todesfällen und deren Ursachen in ihrem Umfeld. So konnte ermittelt werden, dass jährlich 600.000 Menschen an Malaria versterben – über die Hälfte mehr als bislang angenommen. Im Zuge dieser Erhebungen korrigierte die Weltgesundheitsorganisation den Anteil der Malaria-Todesfälle an der weltweiten Kindersterblichkeit bei unter Fünfjährigen von 4,8 auf 7,8 Prozent. Twitterte die WHO noch im Oktober, dass alle zwei Minuten ein Kind an Malaria stirbt, geschieht dies angesichts der neuen Größenordnung tatsächlich deutlich häufiger.
Was kann die Impfkampagne leisten?
Die Impfung könnte entscheidend dazu beitragen, mehr Kinder vor Malaria zu schützen. Der Evidenzbericht der WHO erklärt die Kampagne für umsetzbar und kosteneffektiv: Das Vakzin reduziere das Risiko schwerer Verläufe um rund ein Drittel. Zudem habe sich das Impfangebot nicht negativ auf das Gesundheitsverhalten ausgewirkt; die Menschen nutzten auch weiterhin das breite Präventionsangebot für Fiebererkrankungen.
Auch die Sicherheit des Impfstoffs wurde eingehend geprüft. In der Phase-3-Studie hatte es Hinweise darauf gegeben, dass bei Geimpften häufiger Meningitiden und eine zerebrale Malaria auftreten könnten als bei ungeimpften Kindern in vergleichbaren Regionen. Außerdem schien die Gesamtmortalität bei geimpften Mädchen anzusteigen. Doch die europäische Zulassungsbehörde EMA analysierte die Daten erneut und berücksichtige dazu auch vorläufige Ergebnisse der Phase-4-Pilotstudie. Demnach ergab sich kein Zusammenhang zwischen der Impfung und diesen Risiken – vielmehr seien die Endpunkte vergleichbar mit der Krankheitslast bei ungeimpften Kindern. Das British Medical Journal kritisiert die Pilotstudie der WHO, da die Eltern ohne gänzlich geklärtes Sicherheitsprofil lediglich implizit statt informiert zustimmen müssen. Das bedeutet, dass sie nicht zwingend darüber aufgeklärt werden, dass es sich beim Impfangebot um eine Studie handelt. Die Phase-4-Studie beobachtet weiterhin mögliche Nebenwirkungen beobachtet, finale Ergebnisse werden 2025 erwartet.
In einem für ihren Direktor Tedros Adhanom Ghebreyesus “historischen Moment” empfahl die WHO Ende vergangenen Jahres die RTS,S-Impfung für Kinder in Regionen mit moderater bis hoher P.-falciparum-Transmissionsrate, etwa in Subsahara-Afrika. Kombiniert man Moskitonetze und Impfung, würden 90 Prozent aller Kinder in den betroffenen Ländern profitieren. Und wo keine Moskitonetze zur Verfügung stehen, könnte das Vakzin immerhin zwei von drei Kindern nutzen – und so “die Unerreichten erreichen”.
Weitere Informationen zu Symptomen, Diagnostik und Behandlung gibt’s im AMBOSS-Kapitel Malaria.
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Quellen
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- Perin J, Mulick A, Yeung D, et al.. Global, regional, and national causes of under-5 mortality in 2000-19: an updated systematic analysis with implications for the Sustainable Development Goals. Lancet Child Adolesc Health. 2021 Nov 17:S2352-4642(21)00311-4. doi: 10.1016/S2352-4642(21)00311-4.
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