Rauchstopp – therapeutische Verfahren auf dem Prüfstand
„Jetzt höre ich endgültig auf!“ – Dieser Satz fällt nicht nur zum Jahreswechsel in vielen Sprechzimmern. Wie können wir die Entwöhnung unterstützen und was taugen Hypnose und Magnetfelder?
Auf einen Blick
- Eine abhängige Gesellschaft
- Tabakabhängigkeit ansprechen und einordnen
- Wege zum Rauchstopp
- Kostenübernahme der Tabakentwöhnung
- Rechtliche Rahmenbedingungen für Tabakerzeugnisse
- Direkt zur Podcastfolge
Eine abhängige Gesellschaft
Der Blick entschlossen, die Zügel in der Hand. Wildpferde preschen durch die Prärie. Scheinbar unbegrenzte Freiheit. Wayne McLaren zündet sich eine Zigarette an. Binnen Sekunden flutet Nicotin sein Hirn, stimuliert die nicotinergen Cholinozeptoren und aktiviert das endogene Belohnungssystem. Wayne McLaren ist nicht frei – er ist abhängig.
Wie dem Marlboro-Mann geht es weltweit 1,3 Milliarden Menschen1. In Deutschland raucht etwa ein Drittel der Bevölkerung, mehr als 100.000 Menschen2 sterben jedes Jahr daran. Die meisten Tabakabhängigen wissen um die schweren mittel- und langfristigen Folgen, schaffen es jedoch nicht, aus eigener Kraft aufzuhören. Seit Beginn der COVID-19-Pandemie wurden sogar noch mehr Zigaretten verkauft3 als zuvor.
Tabakabhängigkeit ansprechen und einordnen
Eine gründliche Tabakanamnese muss nicht viel Zeit kosten: Nach Rauchstatus und Pack Years fragen wir regelmäßig. Der Fagerström-Test4 kann zudem helfen, die Stärke einer Abhängigkeit rasch einzuordnen. Aber oft genug fallen schon zwei kurze Fragen unter den Tisch: „Wollen Sie aufhören?“ und „Brauchen Sie dabei Hilfe?“ Weniger als ein Viertel5 der Raucher:innen wird beim Arztbesuch darauf angesprochen.
Weitere Informationen zu den Themen Nicotinabusus und Folgeerkrankungen wie Lungenkarzinom, COPD, periphere arterielle Verschlusskrankheit oder koronare Herzkrankheit gibt es auf AMBOSS. |
Eine Kurzberatung kann anhand der 5 „A“ – Ask, Advice, Assess, Assist, Arrange – erfolgen und sollte auf weiterführende Angebote wie Telefonberatungen6 verweisen. Außerdem führt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in seinem Register zwei digitale Gesundheitsanwendungen zum Rauchstopp, die sich per Rezept verordnen lassen. Zusammen dauern diese Maßnahmen oft nicht länger als fünf Minuten.
Wege zum Rauchstopp
Rauchstopp durch eine Nicotinersatztherapie?
Rauchen Patient:innen weiter, können verhaltenstherapeutische Einzel- oder Gruppenbehandlungen helfen. Medikamentös kommt eine Nicotinersatztherapie mit Pflaster, Kaugummi und Nasenspray, aber auch Bupropion oder (partielle) Agonisten des n-Cholinozeptors wie Vareniclin und Cytisin zum Einsatz. Versagen auch diese Optionen, sind Nortriptylin oder Clonidin im Off-Label Use eine mögliche Alternative.
Rauchstopp durch Hypnose?
Häufig fragen Betroffene nach Hypnoseverfahren. Hier sind die Daten nicht eindeutig: Während ältere Metaanalysen7 zeigen, dass die Therapie effektiv sein könnte, erkennt eine aktuelle Übersichtsarbeit8 keinen klaren therapeutischen Nutzen. Die S3-Leitlinie9 stuft hypnotherapeutische Verfahren als „möglicherweise wirksam“ ein: Empfehlungsgrad 0. Hypnose kann also durchaus erwogen werden, sollte aber ausschließlich von ärztlichen oder psychologischen Hypnotherapeut:innen durchgeführt werden.
Rauchstopp durch E-Zigaretten?
Hilft es, auf elektronische Zigaretten umzusteigen? Laut Deutschem Krebsforschungszentrum (DKFZ) rauchen 86% der Menschen, die E-Zigaretten konsumieren, weiterhin auch herkömmliche Zigaretten10. Dieser Doppelkonsum scheint nach aktuellem Kenntnisstand die gesundheitlichen Schäden nicht abzumildern. Über die Sicherheit bei langfristiger Anwendung ist bislang noch nicht genug bekannt, um E-Zigaretten zur Reduktion oder Beendigung des Rauchens empfehlen zu können. Die aktuelle S3-Leitlinie hält fest: Die Befundlage hinsichtlich Wirkung und Risiken der E-Zigarette in der Tabakentwöhnung ist uneinheitlich, mit Hinweisen auf ein Entwöhnungspotenzial und auf langfristige Risiken dieser neuen Produkte.
Rauchstopp durch aurikuläre Akupunktur und repetitive transkranielle Magnetstimulation?
Aurikuläre Akupunktur zeigt in mehreren Studien11, 12, 13 einen signifikanten Effekt auf die Reduktion von Entzugssymptomen. Möglicherweise werden hierbei afferente Projektionen des N. vagus stimuliert, der den Übergang von der Ohrmuschel zum äußeren Gehörgang sensibel innerviert. Zu langfristiger Abstinenz scheint Akupunktur aber nicht zu führen; die Methode wird in der aktuellen Leitlinie daher nicht empfohlen.
Künftig könnte auch die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) häufiger therapeutisch angewendet werden. Bei Tabakabhängigkeit scheint sie die kortikale sowie mesolimbische Aktivität zu modulieren und darüber das Suchtverhalten zu beeinflussen. Eine amerikanisch-israelische Multicenter-Studie14 hat die Methode in Kombination mit einer verhaltenstherapeutischen Kurzintervention untersucht: Nach sechs Wochen waren in der Verumgruppe mehr als doppelt so viele Menschen abstinent wie in der Kontrollgruppe. In den USA ist rTMS bereits zur Behandlung der Tabakabhängigkeit zugelassen.
Kostenübernahme der Tabakentwöhnung
Die Tabakindustrie und ihre Produkte stellen unsere Gesellschaft weiterhin vor große Herausforderungen. Zum enormen menschlichen Leid kommen knapp 100 Milliarden Euro15 volkswirtschaftliche Kosten. Das muss aber nicht so bleiben: In seinem Strategiepapier „Tabakfreies Deutschland 2040“16 zeigt das DKFZ Wege in eine rauchfreie Gesellschaft auf. Menschen ärztlicherseits in die Abstinenz zu begleiten, ist ein zentrales Element dieser Strategie. Dafür muss die leitliniengerechte Behandlung in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen werden.
„Nicht-verschreibungspflichtige Medikamente durften bisher nicht erstattet werden, psychotherapeutische Maßnahmen übernehmen einige Krankenkassen zu Teilen aus Kulanz“, sagte Dr. Katrin Schaller vom DKFZ im Gespräch mit der AMBOSS-Redaktion. Künftig soll es allerdings einen einmaligen Leistungsanspruch auf evidenzbasierte Maßnahmen geben. Welche Behandlungen das genau betrifft, steht allerdings noch nicht fest.
Rechtliche Rahmenbedingungen für Tabakerzeugnisse
Auch in der Verhältnisprävention tut sich etwas: Seit Januar 2022 ist beispielsweise die Außenwerbung für herkömmliche Tabakprodukte in Deutschland verboten. Wayne McLaren hätte diesen wichtigen und überfälligen Schritt wahrscheinlich begrüßt: Kurz vor seinem Tod rief er eine Anti-Tabak-Kampagne ins Leben. Er starb mit 51 Jahren an Lungenkrebs – vielleicht hätten ihn schon zwei kurze Fragen auf den Weg in die Unabhängigkeit geführt.
Rauchstopp im AMBOSS-Podcast
Im AMBOSS-Podcast zeigen wir auf, wie neue Konsummethoden das Suchtverhalten beeinflussen und wie sich eine Tabakkurzintervention in nur drei Minuten durchführen lässt.
Professionelle Beratung und Unterstützung zum Rauchstopp, Hilfe bei Rückfällen und kostenloses Informationsmaterial bietet die BZgA-Telefonberatung zur Rauchentwöhnung unter der Tel.: 0800 8 31 31 31 (kostenfreie Servicenummer). |
Quellen
1 World Health Organization. Tobacco. May 24, 2022. Accessed May 16, 2023. https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/tobacco.
2 Schaller K et al., Deutsches Krebsforschungszentrum, Strategie für ein tabakfreies Deutschland 2040, S. 1.
3 DEBRA study. Deutsche Befragung zum Rauchverhalten: German study on tobacco use. December 2022. Accessed May 16, 2023. https://www.debra-study.info/.
4 Deutschen Krebsforschungszentrum. Rauchstopp – das können Sie tun. Accessed May 16, 2023. https://www.dkfz.de/de/krebspraevention/Rauchstopp_das-koennen-Sie-tun/2_Unterstuetzung_beim_Rauchstopp/3_Feststellung-einer-Tabakabhaengigkeit-Fagerstroem-Test.html.
5 Schaller K, Kahnert S, Graen L et al. Tabakatlas Deutschland 2020. Published online 2020. S. 111.
6 BZgA. Die BZgA-Telefonberatung zur Rauchentwöhnung. BZgA. May 9, 2022. Accessed May 16, 2023. https://www.bzga.de/service/infotelefone/rauchentwoehnung/.
7 Tahiri M, Mottillo S, Joseph L. Alternative smoking cessation AIDS: A meta-analysis of randomized controlled trials. The American Journal of Medicine. 2012;125(6):1179. doi:10.1016/j.jvs.2012.08.049.
8 Barnes J, McRobbie H, Dong CY, Walker N, Hartmann-Boyce J. Hypnotherapy for smoking cessation. Cochrane Database of Systematic Reviews. 2019;2019(6). doi:10.1002/14651858.cd001008.pub3.
9 Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie e.V. (DG-Sucht). S3-Leitlinie Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening, Diagnostik und Behandlung. AWMF Leitlinienregister. January 1, 2021. Accessed May 16, 2023. https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/076-006.
10 Deutsches Krebsforschungszentrum (2018), E-Zigaretten: Konsumverhalten in Deutschland, 2014–2018. Aus der Wissenschaft – für die Politik, Heidelberg.
11 Wu T-P, Chen F-P, Liu J-Y, Lin M-H, Hwang S-J. A randomized controlled clinical trial of auricular acupuncture in smoking cessation. Journal of the Chinese Medical Association. 2007;70(8):331-338. doi:10.1016/s1726-4901(08)70014-5.
12 White AR, Rampes H, Liu JP et al. Acupuncture and related interventions for smoking cessation. Cochrane Database of Systematic Reviews 2014, Issue 1. Art. No.: CD000009. DOI: 10.1002/14651858.CD000009.
13 He W, Wang X, Shi H, et al. Auricular acupuncture and vagal regulation. Evid Based Complement Alternat Med. 2012;2012:786839. doi:10.1155/2012/786839.
14 Zangen A, Moshe H, Martinez D, et al. Repetitive transcranial magnetic stimulation for smoking cessation: A pivotal multicenter double‐blind randomized controlled trial. World Psychiatry. 2021;20(3):397-404. doi:10.1002/wps.20905.
15 Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung beim Bundesministerium für Gesundheit. Drogen- und Suchtbericht 2019. Die Bundesregierung informiert | Startseite. October 31, 2019. Accessed May 16, 2023. https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/publikationen/drogen-und-suchtbericht-2019-1688896.
16 Deutschen Krebsforschungszentrum. Strategie für ein tabakfreies Deutschland 2040. 2021. Accessed May 16, 2023. https://www.dkfz.de/de/krebspraevention/strategie-tabakfrei-2040.html.