Wann Sonnencreme mehr schadet als schützt

Philippa von Schönfeld - Sonntag, 19.9.2021
Ein Mensch drückt Sonnencreme aus einer Tube in die geöffnete Hand.

Der Sommer packt schon wieder seine Koffer. Badetücher und Picknickdecken werden verstaut und die Sonnenmilch wandert nach hinten in den Schrank – fürs nächste Jahr. Aber können wir sie dann bedenkenlos weiter verwenden?

Im ärztlichen Alltag klären wir ständig darüber auf: Wer Sonnenschutz verwendet, senkt das Risiko, an Hautkrebs zu erkranken. Um vor dem UV-Licht zu schützen, enthalten Sonnencremes chemische Filter wie Octocrylen oder anorganische, mineralische Stoffe wie Zink- oder Titanoxid. Die Wirkmechanismen unterscheiden sich: Während Octocrylen die UV-Strahlen aufnimmt und in Wärme und Fluoreszenzlicht umwandelt, bilden Oxide eine Schutzschicht auf der Haut und reflektieren die Strahlen.

Beide Mechanismen erlauben einen sorgloseren Sonnengenuss, doch sind die Inhaltsstoffe chemischer Sonnencremes durchaus umstritten: So beschränkt die EU beispielsweise die Verwendung von Benzophenon, einem weiteren chemischen UV-Filter, der als potenzieller endokriner Disruptor gilt und möglicherweise krebserregend ist. Tierversuche haben karzinogene Effekte auf Leber, Nieren und Hämatopoese nachgewiesen, allerdings nicht nach dermaler, sondern nach oraler Aufnahme. Das europäische Scientific Committee on Consumer Safety (SCCS) stuft Benzophenon als Gefahrenstoff ein, den Hersteller in Produkten auf Spuren begrenzen müssen. Das ist jedoch nicht leicht zu kontrollieren: Das Molekül kann auch über Kontamination oder durch Alterungsprozesse aus Octocrylen in Sonnencreme gelangen. 

Im März veröffentlichte eine amerikanisch-französische Forschungsgruppe eine Studie, die sich mit dem Molekül Benzophenon in Sonnencremes beschäftigt. Sie untersuchte 17 handelsübliche Sonnencremes zu zwei Zeitpunkten auf deren Benzophenongehalt. Zunächst testeten die Forschenden direkt nach dem Kauf. Dann legten sie die Cremes für sechs Wochen in einen 40 °C warmen Inkubator mit 75% relativer Luftfeuchtigkeit und ließen sie dadurch beschleunigt altern, als wären sie ein Jahr lang bei Raumtemperatur gelagert worden. Anschließend wurde erneut der Benzophenongehalt bestimmt. Das Ergebnis: Nachdem die Cremes im Inkubator “überwintert” hatten, ließ sich bei allen octocrylenhaltigen Produkten ein signifikant höherer Benzophenongehalt nachweisen. Das Kontrollprodukt ohne Octocrylen enthielt auch nach dem künstlichen Alterungsprozess kein Benzophenon. Die Studie griff außerdem ökologische Aspekte auf, da Stoffe wie Benzophenon ins Abwasser gelangen und so die Umwelt belasten können. In ihrem Fazit fordert die Forschungsgruppe, den Verkauf von octocrylen- beziehungsweise benzophenonhaltigen Sonnencremes zu regulieren, bis klar sei, ob Schaden von den Stoffen ausgehe, wenn sie über die Haut aufgenommen werden.

Es bleibt unklar, wie schnell sich die Alterungsprozesse der Sonnencremes im Benzophenongehalt bemerkbar machen und ob es einen Unterschied macht, wenn die Produkte ungeöffnet aufbewahrt werden. Auch bedarf es weiterer Untersuchungen, um ihren Einfluss auf die Umwelt zu ermitteln.

Die Deutsche Dermatologische Gesellschaft e.V. (DDG) mahnte angesichts der veröffentlichten Studienergebnisse an, den Einsatz von Octocrylen in Sonnenschutzmitteln zu überdenken und sie im Zweifel durch frische Produkte zu ersetzen. Aus ihrer Sicht sei es nur scheinbar ein dermatologisches Dilemma, da der Schutz vor Hautkrebs die Gefahr möglicherweise schädigender Substanzen überwiege. Während das Jahr weiterzieht und Studien das Thema genauer untersuchen, lohnt es sich also, die Inhaltsstoffe der Sonnencreme genauer unter die Lupe zu nehmen, bevor sie im Schrank verschwindet.

Mehr darüber, wie sich Hautkrebs und seine Vorstufen erkennen und behandeln lassen, findet sich in den AMBOSS-Kapiteln Aktinische Keratose, Plattenepithelkarzinom der Haut, Basalzellkarzinom und Malignes Melanom. Wie UV-Licht außerdem auf die Augen und das Immunsystem wirkt, ist in unserem neuen Kapitel Planetary Health nachlesbar. 

ZUM AMBOSS-KAPITEL

 


Quellen

  1. Downs CA, DiNardo JC, Stien D, Rodrigues AMS, Lebaron P. Benzophenone Accumulates over Time from the Degradation of Octocrylene in Commercial Sunscreen Products. Chem Res Toxicol. 2021;34(4):1046-1054. doi:10.1021/acs.chemrestox.0c00461
  2. Arnold D. Schutz vor Hautkrebs durch Sonnencremes überwiegt Risiko von möglicherweise schädlichen Inhaltsstoffen. idw - Informationsdienst Wissenschaft. June 2021. https://idw-online.de/de/news770862. Accessed August 1, 2021.
  3. SCCS (Scientific Committee on Consumer Safety). Opinion on Octocrylene (CAS No 6197-30-4, EC No 228-250-8), final version, SCCS/1627/21. March 2021. https://ec.europa.eu/health/sites/default/files/scientific_committees/consumer_safety/docs/sccs_o_249.pdf