Ressource Blut: Von Spende bis Transfusion

Philippa von Schönfeld - Freitag, 10.6.2022
Eine behandschuhte Hand hält ein Erythrozytenkonzentrat. Transfusion im AMBOSS-Blog.

Vernünftig mit Blutprodukten umgehen ist wichtig – aber was heißt das? Zum Weltblutspendetag sehen wir uns das Gleichgewicht von Spende und Transfusion genauer an.

Wie leicht die Waage zwischen gespendetem und benötigtem Blut aus dem Gleichgewicht geraten kann, hat jüngst die Pandemie gezeigt: Die Spendenbereitschaft sank im Lockdown, das Personal in Blutbanken und Spendeeinrichtungen war selbst von COVID-19 betroffen – und der Bedarf bei eingeschränktem OP-Programm schlecht planbar. Anlässlich des Weltblutspendetags am 14. Juni schauen wir uns an, welche Rolle ein kluger Umgang mit Blutprodukten für die Patientensicherheit spielt.

Wie gefährlich ist eine Transfusion?

Oberste Priorität hat in der Transfusionsmedizin der Infektionsschutz. Als in den 1980er-Jahren die Entdeckung des HI-Virus die Welt erschütterte, folgte zunächst ein generelles Blutspendeverbot für Männer, die Sex mit Männern haben. Vor einigen Jahren wurde eine Rückstellfrist von einem Jahr eingeführt, die Ende 2021 auf vier Monate verkürzt wurde. Das bedeutet, ein homosexueller Mann darf aktuell spenden, wenn er in den letzten vier Monaten nur mit einem Partner Sex hatte. Die Bundesärztekammer begründet ihre Richtlinien mit dem diagnostischen Fenster, in dem sich frische Infektionen mit HBV, HCV und HIV nicht sicher ausschließen lassen. Außerdem verweist sie auf epidemiologische Daten zu Sexualverhalten und Infektionsrisiko. Das Risiko, dass eine Transfusion HIV überträgt, liegt mit den aktuellen Richtlinien bei etwa 1:6,38 Millionen. In der Debatte darüber, wer spenden darf, geht es darum, sichere Blutprodukte zu gewährleisten, ohne Menschen unnötig auszuschließen.

Neben möglichen Infektionen birgt eine Transfusion weitere Risiken wie Volumenüberladung, Elektrolytverschiebungen, allergische Reaktionen und die gefürchtete hämolytische Transfusionsreaktion. Solche Komplikationen treten selten auf, wiegen aber schwer – deshalb dürfen ausdrücklich nur Ärzt:innen transfundieren. Es ist unerlässlich, Blutgruppen zu bestimmen, Antikörper zu suchen und den Bedside-Test gewissenhaft durchzuführen. Außerdem ist es wichtig, die Indikation richtig zu stellen: Wer transfundieren will, sollte Risiko und Nutzen gut abwägen.

Inhalte zu verschiedenen Transfusionspräparaten und deren klinischer Anwendung finden sich im AMBOSS-Kapitel Transfusionen. Mögliche Komplikationen beleuchten wir im AMBOSS-Kapitel Transfusionszwischenfälle. Für den klinischen Alltag stellt die AMBOSS-SOP zur Transfusion von Erythrozytenkonzentraten, die praktische Durchführung der ärztlichen Aufgabe dar.

Patient Blood Management (PBM)

Das Konzept des Patient Blood Management (PBM) stellt Patientensicherheit in den Vordergrund. Der Fokus liegt dabei im perioperativen Bereich, doch die Grundsätze reichen darüber hinaus. Das PBM ruft Ärzt:innen dazu auf, Anämien früh zu diagnostizieren, den Blutverlust zu minimieren und Konserven rational einzusetzen. Das kann bedeuten, eine Operation zu verschieben, um einen Eisenmangel auszugleichen, unnötige präoperative Blutentnahmen zu vermeiden und eine Transfusion – abhängig vom klinischen Zustand – erst ab einem Hämoglobinwert von <8 g/dL zu diskutieren.

Weitere Informationen gibt es in unserem Kapitel Patient Blood Management (PBM) – hier werden das gleichnamige Konzept und seine drei Säulen erläutert.

ZUM AMBOSS-KAPITEL

 

Transfusionsleitlinien empfehlen bislang einen etwas weniger restriktiven Umgang mit Blutprodukten als die Grundsätze des PBM im perioperativen Setting. In jedem Fall zielt eine Erythrozytenkonzentrat-Transfusion darauf ab, eine lebensbedrohliche anämische Hypoxie abzuwenden. Um ihren Nutzen abzuschätzen, gilt es individuell zu kalkulieren, ob der Patient oder die Patientin die Anämie kompensieren kann. Variablen wie Alter, kardiale sowie pulmonale Vorerkrankungen und der klinische Zustand beeinflussen die Kompensationsfähigkeit. Es reicht nicht, die Indikation nur von einer Zahl im Laborbefund abhängig zu machen.

Dass sich der Umgang mit Blutprodukten verändert, zeigt sich auch in den Zahlen: Knapp 3,3 Millionen Erythrozytenkonzentrate (EK) transfundierten Ärzt:innen 2020 bundesweit. Zehn Jahre zuvor waren es noch über eine Million mehr.

Auf den ersten Blick scheint eine Transfusion eine simple Lösung für das Problem einer Anämie. Doch auch wenn der Hämoglobinwert daraufhin schnell nach oben klettert, birgt die Transfusion ernstzunehmende Risiken. Neben der Frage “Wer darf spenden?” ist die Frage “Wer soll transfundiert werden?” mindestens genauso wichtig. Blut ist eine wertvolle Ressource und sollte verantwortungsvoll eingesetzt werden.

Patient Blood Management im AMBOSS-Podcast

Über das PBM-Credo “So viel Blut wie nötig und so wenig wie möglich” sprechen wir mit Dr. Johanna Weiland und Prof. Dr. Jürgen Lutz aus dem Kölner St. Vinzenz-Hospital in einer zweiteiligen Podcastfolge

Teil 1 kostenfrei hören auf:

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Teil 2 kostenfrei hören auf:

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Quellen

  1. Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Verbrauch von Blutprodukten durch Transfusionen (Anzahl von Beuteln und je 100.000 Einwohner). Gliederungsmerkmale: Jahre, Deutschland, Blutprodukte., https://www.gbe-bund.de/gbe/!pkg_olap_tables.prc_set_page?p_uid=gast&p_aid=33381448&p_sprache=D&p_help=2&p_indnr=687&p_ansnr=48679091&p_version=19&D.000=3732
  2. Stanworth SJ, New HV, Apelseth TO, Brunskill S, Cardigan R, Doree C, Germain M, Goldman M, Massey E, Prati D, Shehata N, So-Osman C, Thachil J. Effects of the COVID-19 pandemic on supply and use of blood for transfusion. Lancet Haematol. 2020 Oct;7(10):e756-e764. doi:10.1016/S2352-3026(20)30186-1. Epub 2020 Jul 3. PMID: 32628911; PMCID: PMC7333996.
  3. Bundesärztekammer, ed. Richtlinie zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten (Richtlinie Hämotherapie): Aufgestellt gemäß §§12a und 18 Transfusionsgesetz von der Bundesärztekammer im Einvernehmen mit dem Paul-Ehrlich-Institut. 1st ed. Deutscher Ärzte-Verlag; 2017., https://www.bundesaerztekammer.de/aerzte/medizin-und-ethik/wissenschaftlicher-beirat/veroeffentlichungen/haemotherapietransfusionsmedizin/richtlinie/
  4. Blutspende von Personen mit sexuellem Risikoverhalten. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. 2017;60(9):1064-1064. doi:10.1007/s00103-017-2593-y
  5. Pillonel J, Pelat C, Tiberghien P, et al. The evolving blood donor deferral policy for men who have sex with men: impact on the risk of HIV transmission by transfusion in France. Transfusion. 2020;60(3):525-534. doi:10.1111/trf.15677
  6. Bundesärztekammer: Querschnitts-Leitlinien zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten - Gesamtnovelle 2020. Stand: 2020. Abgerufen am: 06.06.2022., https://www.bundesaerztekammer.de/aerzte/medizin-ethik/wissenschaftlicher-beirat/veroeffentlichungen/haemotherapietransfusionsmedizin/querschnitt-leitlinie/
  7. PBM Network Coordination Centre: Patient Blood Management. PBM Network Coordination Centre. Abgerufen am: 06.06.2022., https://www.patientbloodmanagement.de/