Weiterbildung Allgemeinmedizin – Welche Wege führen in die Hausarztpraxis?

Philipp Winghart - Freitag, 21.1.2022
Ein Miniaturwohnhaus mit Schornstein ist aus 4 bunten Puzzlestücken zusammengesetzt. Daneben liegt ein Stethoskop.

Raus aus der Klinik und hinein ins Glück? Worauf es bei der Weiterbildung ankommt und welche Fächer auf dem Weg in die Hausarztpraxis besonders relevant sind.

Patientenkontakt, Selbstbestimmtheit und geregelte Arbeitszeiten: Die Allgemeinmedizin hat viel zu bieten. Je nach Bundesland unterscheiden sich die Weiterbildungsordnungen. Neben Pflichtzeiten in Innerer Medizin und Allgemeinmedizin zählen auch weitere Gebie­te der unmit­tel­ba­ren Patientenversorgung zum Curriculum. Aber welche davon sind für die Praxis am wichtigsten? Wir haben drei Ärzte nach ihrer Meinung gefragt:

Philipp Jakobs, 33 Jahre, Arzt in der Weiterbildung zum Allgemeinmediziner in Mainz: 

Werdegang und Motivation

“Nach der Approbation habe ich ein Jahr in der Kinder- und Jugendpsychiatrie gearbeitet, dann zwei Jahre in der Unfallchirurgie und zuletzt drei Jahre stationär in der Inneren Medizin. In wenigen Monaten fange ich in einer Hausarztpraxis in Mainz an. Die habe ich ganz leicht gefunden: Ich habe einfach meine Hausärztin gefragt. Kurz darauf kam dann die Nachricht, dass ich anfangen könnte. Patientenkontakt war mir immer wichtig, eine ausgeglichene Work-Life-Balance aber auch.”

Auf dem Weg zur Hausarztpraxis

“Bei der Wahl der Weiterbildungsfächer habe ich erst einmal darüber nachgedacht, ob ich auf dem Land oder in der Stadt arbeiten möchte. In Ballungsgebieten gehen z.B. Frauen mit gynäkologischen Problemen direkt in die Facharztpraxis. In ländlichen Regionen ist diese manchmal sehr weit entfernt, da liegt der Gang zum Hausarzt nahe. Gynäkologie und Pädiatrie hätte ich daher sicher belegt, wenn ich auf dem Land angefangen hätte.

Ein chirurgisches Fach ist unabhängig vom Wohnort immer sinnvoll. Wie schätze ich eine Wunde ein? Wann sieht sie gut aus, wann schlecht? Wann muss ich etwas unternehmen, wann kann ich zuwarten? Da sollte sich meiner Meinung nach jeder gut auskennen.

Die Weiterbildungsstelle in der Psychiatrie hat mir geholfen, den praktischen Umgang und die Kommunikation mit psychiatrisch Erkrankten zu lernen und Krankheitsbilder sicher einzuschätzen. Lehrbücher haben mir da immer nur eine vage Vorstellung vermittelt. Außerdem ist die ambulante psychiatrische Versorgung teilweise sehr limitiert. Der Leidensdruck ist hoch, die Wartezeiten sind lang. Da ist es Gold wert, wenn man als Hausarzt kompetent reagieren kann.”

Meine Top-Five-Rotationen für die Allgemeinmedizin:

1. Chirurgisches Fach
2. Psychiatrie
3. Pädiatrie
4. Gynäkologie
5. Dermatologie

Thomas Assfelder, 37 Jahre, seit 2018 Hausarzt in Iserlohn:

Werdegang und Motivation

“Nach einer Famulatur war mir klar, dass ich Hausarzt werden wollte. Ich habe meine Weiterbildungszeit in der Inneren Medizin begonnen und dort für insgesamt viereinhalb Jahre gearbeitet. Danach wechselte ich in die Palliativmedizin, dann in die Dermatologie und zuletzt auf eine psychiatrische Station.

An der Arbeit als Hausarzt gefällt mir vor allem das Zwischenmenschliche. Man ist Teil des Lebens der Menschen; und ein eigenes Leben hat man auch noch! Die Work-Life-Balance klappt gut.”

Auf dem Weg zur Hausarztpraxis

“Neben internistisch Erkrankten behandle ich in meiner Praxis häufig Menschen mit orthopädischen, psychiatrischen oder psychosomatischen Leiden. Auch Hauterkrankungen kommen sehr oft vor. Eine Rotation in die Dermatologie lohnt sich v.a. in einer Praxis. Man sieht dort in sehr kurzer Zeit sehr viele Patienten und wird dabei immer sicherer in dermatologischen Blickdiagnosen. Die Weiterbildungszeit hat sich für mich jedenfalls sehr gelohnt.

Zwölf Monate Innere, wie es jetzt in vielen Weiterbildungsordnungen vorgesehen ist, reichen meiner Meinung nach nicht aus. Um sicher diagnostizieren und behandeln zu können, sollte man hier mehr Zeit investieren. Mindestens zwei Jahre.

Würde ich mit meinem jetzigen Wissen nochmal von vorne beginnen, würde ich sicher noch ein paar Monate in einer unfallchirurgischen Notaufnahme mitnehmen und vielleicht etwas länger in der Psychiatrie lernen. Was man dort insbesondere hinsichtlich empathischer Gesprächsführung lernt, ist für die Praxis unbezahlbar.”

Meine Top-Five-Rotationen für die Allgemeinmedizin:

  1. Psychiatrie
  2. Unfallchirurgie/Orthopädie
  3. Pädiatrie
  4. Dermatologie
  5. Urologie

Rolf Bünte, 60 Jahre, seit 2000 Hausarzt in Lüneburg:

Werdegang und Motivation

“Hausarzt wollte ich schon immer werden. Das jahrelange Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient ist einfach unvergleichbar. Obwohl der bürokratische Aufwand und die hohe Schlagzahl zuweilen etwas belastend sind, finde ich meinen Beruf einfach wunderbar.  Zunächst habe ich den Facharzt für Innere Medizin gemacht, dann Weiterbildungszeiten in Radiologie und Chirurgie absolviert. Außerdem habe ich mich zum Notarzt weitergebildet. In kritischen Situationen gut handeln zu können, war mir wichtig. In der Praxis hat man dafür manchmal nur 5 Minuten.”

Auf dem Weg zur Hausarztpraxis

“Manchmal höre ich das Vorurteil, dass Hausärzte in erster Linie an andere Fachärzte überweisen. Das stimmt einfach nicht. Den Großteil der Patienten behandelt man selbst. Umso wichtiger ist es, fachlich gut aufgestellt zu sein. Der Inneren Medizin kommt dabei eine besonders wichtige Rolle zu. Hier sollte man absolut sattelfest sein und in der Ausbildung so viel wie möglich mitnehmen. Auch geriatrische und palliativmedizinische Kenntnisse helfen in der Praxis sehr. Und ganz wichtig: Sonografie. Je sicherer man schallt, desto besser für die Patienten und einen selbst: Als junger Hausarzt bin ich die Fälle abends immer und immer wieder durchgegangen. Nicht selten habe ich dann noch bei den Patienten angerufen, um mich zu vergewissern, ob es ihnen gut geht. Wer schallen kann, schafft diagnostische Sicherheit und schläft nachts ruhiger ein. Kurzum: Ein Jahr Innere Medizin ist viel zu kurz! 

Kenntnisse in manueller Therapie sind auch von Vorteil. Menschen mit orthopädischen Problemen, insbesondere Rückenschmerzen, stellen sich einfach sehr häufig vor. Außerdem hilft es, wenn man sicher neurologisch untersuchen kann. Kopfschmerzen, Schwindel oder neu aufgetretene Fazialisparesen begegnen mir regelmäßig.

Man sollte sich außerdem vor und während der Weiterbildung überlegen, wo und wie man arbeiten möchte. In der Stadt oder auf dem Land? Alleine oder in der Gemeinschaftspraxis?  Ich würde in ländlichen Regionen eher Weiterbildungen in der Pädiatrie oder Gynäkologie anstreben – die Menschen kommen mit der ganzen Familie in die Praxis; und wenn ein etwaiger Kollege z.B. drei Jahre in der Urologie gearbeitet hat, dann brauche ich das nicht zu machen. Praktische chirurgische Fähigkeiten helfen aber immer: Ob mit Platzwunden, oder Ulcus cruris, die Menschen gehen oft erstmal zum Hausarzt.”

Meine Top-Five-Rotationen für die Allgemeinmedizin:

  1. Neurologie
  2. Chirurgisches Fach
  3. Rettungsstelle
  4. Gynäkologie
  5. Urologie

Für die Facharztprüfung Allgemeinmedizin bereitet der Facharztlernplan von AMBOSS vor.

ZUM AMBOSS-KAPITEL

Welche Fächer werden am häufigsten gewählt?

Daten über die beliebtesten Fächer im Curriculum der Allgemeinmedizin liegen nicht vor. Gelder, die im Rahmen der Weiterbildungsförderung fließen, lassen allerdings Rückschlüsse auf sie zu: Ambulant unterstützten die Kassenärztlichen Vereinigungen am häufigsten Rotationen in der Orthopädie/Unfallchirurgie und der Kinder- und Jugendmedizin. Stationär wurden v.a. Zeiten in der Anästhesiologie, Pädiatrie, Orthopädie/Unfallchirurgie und Neurologie gefördert.

Viele Wege führen in die Allgemeinmedizin. Welcher davon der beste ist, kann nur individuell beantwortet werden. Dass sich der Weg lohnt, stand für unsere Gesprächspartner aber außer Frage.

Niederlassung im AMBOSS-Podcast

Im AMBOSS-Podcast erzählt die jüngste Praxisgründerin Brandenburgs, was sie aufs Land gezogen hat und warum es dort nie langweilig wird.

 

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