Riskanter Alkoholkonsum: 'Nur ein kleines Schlückchen?'
Jeder sechste Mensch in Deutschland trinkt gefährlich viel Alkohol. Welche Therapieoptionen stehen zur Behandlung einer Abhängigkeit zur Verfügung – und welche kommen möglicherweise künftig noch dazu?
3…2…1… – Gläser schlagen aneinander, ein neues Jahr beginnt. Die guten Vorsätze im Kopf, Feuerwerkssausen in den Ohren und einen edlen Tropfen auf der Zunge. Auf das besinnliche Weihnachtsfest folgt für viele ein besinnungsloser Jahreswechsel. Doch wie gefährlich ist der Traditionsrausch eigentlich? Und wie können wir dem als Behandelnde und als Teil der (trinkenden) Gesellschaft begegnen?
In Deutschland konsumiert jede sechste Person Alkohol auf einem gesundheitlich riskanten Niveau. Laut dem Jahrbuch Sucht 2021 werden hierzulande pro Kopf jährlich rund 10 Liter reiner Alkohol getrunken. Etwa 1,6 Millionen Menschen zwischen 18 und 64 Jahren gelten als alkoholabhängig. Die volkswirtschaftlichen Kosten werden für 2020 auf rund 57 Milliarden Euro geschätzt. Sie enthalten direkte Kosten, etwa für die Behandlung sowie indirekte Kosten durch krankheitsbedingte Abwesenheit im Beruf. Dem gegenüber stehen lediglich 3,2 Milliarden Euro* alkoholbezogener Steuereinnahmen im letzten Jahr.
Die Zeit zwischen den Jahren ist für Alkoholkranke besonders gefährlich. Ob Einsamkeit oder rauschende Feste: Beide Situationen begünstigen Rückfälle. Hinzu kommt die Pandemie als weiterer Stressfaktor, der den Griff zum Glas erleichtert.
Um eine Abhängigkeit zu behandeln, reicht eine körperliche Entgiftung nicht aus. Das zugrundeliegende Suchtverhalten und etwaige psychische Komorbiditäten müssen konsequent psychiatrisch behandelt werden. Dabei kann eine pharmakologische Unterstützung sinnvoll sein: Für die Postakutbehandlung sollten laut Leitlinie Acamprosat oder Naltrexon angeboten werden. Beide hemmen das Verlangen nach Alkohol. Acamprosat greift inhibitorisch am NMDA-Rezeptor an und mindert so die neuronale Erregbarkeit; Naltrexon wirkt als Opioid-Antagonist. Disulfiram stellt im Off-Label-Use eine Option dar, wenn andere Medikamente nicht helfen. Der Wirkstoff hemmt die Aldehyd-Dehydrogenase: Die Leber hört auf, Ethanol zu verstoffwechseln – Flush, Übelkeit und Kopfschmerz stellen sich ein. Menschen, die das Medikament einnehmen, erleben das als so unangenehm, dass sie ihren Konsum drastisch reduzieren. Eine “Kann”-Empfehlung gibt es außerdem für Nalmefene: Wird es einige Stunden vor dem geplanten Alkoholkonsum eingenommen, hilft seine Wirkung an den Opioid-Rezeptoren, die Trinkmenge zu reduzieren.
Der Gedanke, nie wieder Alkohol trinken zu dürfen, erscheint manchen Abhängigen unmöglich und entmutigend. Weniger zu trinken, kann daher ein sinnvolles Etappenziel auf dem Weg zur Abstinenz sein.
Zukünftig könnte zudem Psilocybin als Rückfallprophylaxe zum Einsatz kommen. Abhängige empfinden oft einen starken Wunsch oder gar Zwang, die jeweilige Substanz einzunehmen. Das sogenannte Craving ist ein zentrales Diagnosekriterium aller Abhängigkeitssyndrome – und Psilocybin scheint es zu lindern. Im Tierversuch ließ sich eine grundsätzlich verminderte Funktion des metabotropen Glutamatrezeptors 2 (mGluR2) bei alkoholabhängigen Ratten nachweisen – so sinkt die exekutive Kontrolle und das Craving nach der Droge steigt. Das Halluzinogen erhöhte die mGluR2-Spiegel und senkte so das Rückfallrisiko der Nager.
Wenn an Silvester um Mitternacht die Sektkorken knallen, müssen wir uns nicht alle vornehmen, nie wieder ein Glas anzurühren. Wir sollten uns aber vergegenwärtigen, dass rein statistisch wahrscheinlich mehrere Alkoholabhängige mit uns feiern. Für sie kann jeder noch so kleine Schluck einen Rückfall bedeuten. Die schrägen Blicke, wenn jemand nichts trinken möchte, sollten wir uns daher sparen. Für manche Menschen wäre es weit mehr als das.
Mehr Informationen zu Alkohol (Intoxikation und Abhängigkeit) gibt es auf AMBOSS.
*In einer früheren Textfassung war die Rede von 3,2 Millionen Euro alkoholbezogener Steuereinnahmen; tatsächlich sind es 3,2 Milliarden Euro. Wir haben die Zahl korrigiert und bitten, den Fehler zu entschuldigen.
Quellen
- Meinhardt MW, Pfarr S, Fouquet G, Rohleder C, Meinhardt ML, Barroso-Flores J, Hoffmann R, Jeanblanc J, Paul E, Wagner K, Hansson AC, Köhr G, Meier N, von Bohlen Und Halbach O, Bell RL, Endepols H, Neumaier B, Schönig K, Bartsch D, Naassila M, Spanagel R, Sommer WH.: Psilocybin targets a common molecular mechanism for cognitive impairment and increased craving in alcoholism. Sci Adv. 2021 Nov 19;7(47). DOI: 10.1126/sciadv.abh2399. Epub 2021 Nov 17.