Cannabis auf Rezept – eine Zwischenbilanz

Philippa von Schönfeld - Donnerstag, 27.5.2021
Medizinische Cannabis Knospen liegen neben einem Hanfblatt in Petri Schale auf einem Tisch.

Seit gut vier Jahren gibt es in Deutschland das Gesetz “Cannabis als Medizin”. Wer verschreibt Cannabinoide seitdem an wen, zu welchem Zweck und mit welchem Erfolg?

Wer Cannabinoide auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung verschreibt, ist verpflichtet, an der sogenannten Cannabisbegleiterhebung teilzunehmen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat bis Mai 2020 bereits über 10.000 Datensätze gesammelt und diese nun ausgewertet. Demnach wurde knapp die Hälfte der Arzneimittel in der Anästhesie verordnet, gefolgt von der Allgemeinmedizin (17%), Neurologie (12%) und Inneren Medizin (10%). Viele der Verschreibenden haben die Zusatzbezeichnung “Spezielle Schmerztherapie” oder “Palliativmedizin” – dazu passt die häufigste Indikation “Schmerz” (73%).

Die positiven Folgen des neuen Gesetzes “Cannabis als Medizin” sind eindrücklich: Ein Großteil der Schmerzpatient:innen (70%) bemerkte eine Verbesserung. Auch 84%der Spastiken besserten sich, wobei Frauen deutlicher profitierten als Männer. Mehr als die Hälfte der Patient:innen (55%) gab an, keinerlei Nebenwirkungen zu verspüren. Wenn welche auftraten, handelte es sich am häufigsten um Müdigkeit (15%) und Schwindel (10,4%). Potentiell schwerwiegende psychiatrische Nebenwirkungen wie Depression (1,3%), Halluzination (0,8%) und Suizidgedanken (0,2%) traten allerdings ebenfalls auf. Etwa jede dritte mit Cannabinoiden behandelte Person brach die Therapie ab – meist wegen nicht ausreichender Wirkung (38,8%) oder Nebenwirkungen (25%).

Wenn es um die Art der Cannabismedikamente geht, verschrieben alle Fachrichtungen an erster Stelle Dronabinol. Cannabisblüten wurden am häufigsten von hausärztlichen Praxen verordnet (32,9%). Obwohl “Schmerz” über alle Fachrichtungen hinweg die häufigste Indikation bleibt, lohnt es sich, bei den Blüten genauer hinzusehen. Hier unterscheidet sich nicht nur die verschreibende Fachrichtung, sondern auch das Patientenkollektiv deutlich: Wer Blüten verordnet bekommt, ist jünger, überwiegend männlich, berichtet häufiger von Cannabis-Vorerfahrung und bricht die Behandlung seltener ab. Mit 16% werden zudem öfter als bei Dronabinol (10%) und Sativex® (7%) andere Gründe für eine Behandlung genannt neben den Hauptindikationen Schmerz, Spastik und Anorexie/Wasting. 

Wenn Blüten verschrieben wurden, dann meist mit THC-Anteil von über 20 Prozent und berauschender Wirkung. Im aktuellen AMBOSS-Podcast befürchtet Prof. Dr. med. Sven Gottschling, dass “Freizeitkonsumenten jetzt [versuchen], ihren Konsum nicht nur zu legitimieren, sondern auch bezahlen zu lassen”. Dass es in Deutschland erlaubt ist, Cannabisarzneimittel ohne Zulassung auf Kosten der Krankenkassen zu verschreiben, sei weltweit einzigartig. Der Kinderonkologe und Schmerzmediziner plädiert deshalb dafür, ärztlich verantwortungsvoll mit der Option umzugehen. 

Das BfArM sammelt die Verordnungsmuster noch bis März 2022. Ob und wie Behandlungskosten danach weiter übernommen werden, hängt mit von diesen Daten ab – und liegt damit auch in der Hand der Verschreibenden. Wer mit Cannabis auf Rezept gewissenhaft umgeht, trägt dazu bei, dass Schwerkranken diese Option auch künftig zur Verfügung steht.

Informationen zu Wirkung, Abhängigkeit und medizinischer Verwendung finden sich im AMBOSS-Kapitel Cannabis (Intoxikation und Abhängigkeit). Das BfArM stellt auf seiner Website Fragen und Antworten zum Gesetz “Cannabis als Medizin” zur Verfügung, ebenso Genaueres zum Aufbau der Cannabisagentur des BfArM.

Über Cannabis als Medizin sprechen wir auch in unserem AMBOSS-Podcast mit dem Kinderonkologen und Schmerzmediziner Prof. Dr. med. Sven Gottschling.

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Quellen

  1. doi: 10.1007/s00103-021-03285-1