Bipolare affektive Störung: „Mit Dominanz kommt man nicht weit“

Britta Verlinden - Sonntag, 5.3.2023
Eine Medikamentenflasche mit der Aufschrift “Lithium”. Bipolare Störung im AMBOSS-Blog.

Wie Behandelnde mit Betroffenen umgehen sollten und wo sie angesichts der Vielfalt der Behandlungsoptionen Orientierung finden, erklärt unsere Kapitelautorin.

Die ärztliche Redakteurin Kathi Schulte erklärt, welche Fragen ihr Kapitel „Bipolare affektive Störung“ beantwortet. Sie ist im dritten Jahr ihrer Weiterbildung zur Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und Teil der Fachgruppe Psychiatrie der AMBOSS-Redaktion.

Auf einen Blick

  1. Wie hilft das Kapitel im ärztlichen Alltag?
  2. Welchen Abschnitt sollten auch Fachfremde lesen, bevor sie zum Konsilschein greifen?
  3. Was ist neu?
  4. Was macht dieses Kapitel einzigartig? 
  5. „Während meiner eigenen Weiterbildung hätte ich dieses Kapitel unbedingt gebraucht…“ 

Wie hilft das Kapitel im ärztlichen Alltag?

Psychiatrisch erkrankte Menschen können uns überall begegnen. Solide Grundkenntnisse mitzubringen lohnt sich also in allen Fachgebieten – auch, um Unsicherheiten und Berührungsängste abzubauen, die ja viele haben. Wer ruhig und empathisch auftritt, hat viel größere Chancen, jemanden selbst in einer akuten manischen Episode zu einer Behandlung zu motivieren. Unser Kapitel enthält Tipps, wie das gelingt. 

 

Bipolare affektive Störungen sind ebenso vielfältig wie ihre Behandlungsoptionen. Welche Medikamente in der Akuttherapie der Manie zum Einsatz kommen und was bei der bipolaren Depression zu beachten ist, zeigt unser Kapitel Bipolare affektive Störung.

ZUM AMBOSS-KAPITEL

 

Welchen Abschnitt sollten auch Fachfremde lesen, bevor sie zum Konsilschein greifen?

Zunächst einmal ist es immer sinnvoll zu prüfen, ob tatsächlich Symptome einer Depression beziehungsweise (Hypo-)Manie vorliegen oder nicht. Zum anderen gibt es für manisch und depressive Episoden eine ganze Reihe nicht-psychiatrischer Ursachen, die als Differenzialdiagnosen auszuschließen sind. Dazu zählen hirnorganische Störungen und endokrinologische Erkrankungen – aber auch Arzneimittel! Glucocorticoide, ACE-Hemmer, Antibiotika oder Betablocker können beispielsweise eine Manie oder Depression auslösen. Es sollte also dazu gehören, sich die Medikamente anzuschauen, die der Patient oder die Patientin einnimmt.

Was ist neu?

Bipolar affektive Störungen sind sehr vielfältig und ihre individuelle Behandlung hängt von sehr vielen Faktoren ab. Um Behandelnden hier Struktur und Orientierung zu bieten, haben wir die Sektion in Akuttherapie und Phasenprophylaxe unterteilt. Eine manische Episode wird akut mit Stimmungsstabilisierern und/oder Antipsychotika behandelt. Mittel der Wahl zur Behandlung bipolarer Depressionen ist Quetiapin, aber auch Stimmungsstabilisierer und Antidepressiva kommen zum Einsatz. Bei letzteren sollte man allerdings stets das sogenannte Switch-Risiko bedenken – also die Gefahr, durch die Behandlung mit einem Antidepressivum ein Umschlagen von depressiver Symptomatik in eine (hypo-)manische Symptomatik zu induzieren. Um Rezidiven vorzubeugen, ist eine medikamentöse Phasenprophylaxe meist unumgänglich. Hier ist Lithium nach wie vor Mittel der Wahl.

Was macht dieses Kapitel einzigartig? 

Wir haben eine Tabelle zur Akuttherapie der Manie erstellt, in die sowohl die aktuellen Leitlinienempfehlungen geflossen sind als auch die neuesten Inhalte aus den gängigen Standardwerken zur Psychopharmakologie. Gerade weil es die eine Therapie der bipolaren Störung nicht gibt, erschien es uns wichtig, die verschiedenen Behandlungsoptionen kompakt und verständlich darzustellen. Daher zeigen wir für die euphorische, die dysphorisch gereizte und die psychotische Manie jeweils die Mittel der 1. und 2. Wahl. Das war ganz schön kniffelig, aber hat sich gelohnt, denn eine solche Übersicht gab es so bisher nicht – auch nicht in der Leitlinie.

„Während meiner eigenen Weiterbildung hätte ich dieses Kapitel gerne gehabt…“ 

…bevor ich meinem ersten manischen Patienten begegnet bin. Der erste Impuls ist leider oft, eher dominant zu werden und den Menschen zurechtzuweisen: „Jetzt kommen Sie mal runter!“ Damit kommt man aber nicht weit. Im Gegenteil: Man riskiert einen Beziehungsabbruch, da den Betroffenen ja oft die Krankheitseinsicht fehlt. Ich würde mir deshalb wünschen, dass sich Fachkräfte dieses Wissen schon vorher aneignen, zum Beispiel mit unseren Tipps zum Umgang mit manischen Patient:innen