Delegieren an die Pflege: Konstruktiv im Team

Philippa von Schönfeld - Freitag, 5.11.2021
Eine tatkräftige medizinische Fachkraft zieht sich Handschuhe an.

Delegieren ärztlicher Tätigkeiten wird auch durch den Fachkräftemangel immer relevanter, bleibt jedoch eine juristische Grauzone. Welche Grundsätze gelten?

Das Gesundheitswesen ist im Umbruch: Kompetenzbereiche der Berufsgruppen verändern sich, Strukturen werden aufgebrochen, interdisziplinäre und interprofessionelle Zusammenarbeit ist wichtiger denn je. Zu diesem Schluss kommt auch die Bundesärztekammer-Arbeitsgruppe “Zukünftiges Rollenverständnis der Ärzteschaft in einer teamorientierten Patientenversorgung” auf dem 125. Deutschen Ärztetag. 

Doch wie funktioniert konstruktive Teamarbeit? Zum Delegieren gehört schließlich mehr, als dem freundlichen Pfleger auf dem Flur eine Bitte zuzurufen. Zudem haften Ärzt:innen prinzipiell sowohl für eigene Fehler als auch für die des nicht-ärztlichen Personals. Was dürfen wir also an die Pflege abgeben? Grundsätzlich gilt: Je risikoärmer die Aufgabe und je qualifizierter das Teammitglied, das sie übernehmen soll, desto eher ist eine Delegation möglich. Besteht der geringste Zweifel, muss sie selbst durchgeführt werden. Eine vollständige Liste aller delegierbaren Tätigkeiten gibt es nicht, aber einige Grundprinzipien.

So sind wir bei der Delegation ärztlicher Aufgaben verpflichtet... 

...eine Person auszuwählen, die die nötigen Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt.

...diese Person anzuleiten.

...die ordnungsgemäße Durchführung der Aufgabe zu überwachen.

...erreichbar zu sein, um gegebenenfalls einzugreifen (Rufweite-Prinzip).

Wie das in der Praxis aussieht, hängt von der Situation ab. Wer sich einmal von der formalen und praktischen Qualifikation eines Teammitglieds überzeugt hat, muss künftig weniger engmaschig überwachen. Voraussetzung ist hier eine abgeschlossene Berufsausbildung der Fachkraft. Auch für das Rufweite-Prinzip gibt es Ausnahmen, die sich in der Klinik aus den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen, im ambulanten Bereich aus dem Behandlungsvertrag ergeben. Wenn kein Arzt und keine Ärztin anwesend sind, gilt die Beweispflicht – genaues Dokumentieren bleibt also essenziell.

Auch das nicht-ärztliche Personal trägt Verantwortung. Übernimmt eine Fachkraft eine Aufgabe, muss sie Folgendes beachten:

  • Reicht der eigene Kenntnisstand, um die Aufgabe zu übernehmen?
  • Besteht Unsicherheit, muss sie Rücksprache mit einer qualifizierten Person halten (Remonstrationspflicht).
  • Die ärztliche Verantwortung besteht in der sach- und fachgerechten Anordnung, während die Verantwortung der Fachkraft in der ordnungsgemäßen Durchführung liegt.

Nicht alle Aufgaben dürfen delegiert werden, denn wenn eine Krankheit nicht erkannt wird und die Behandlung sich dadurch verzögert, kann es schnell gefährlich werden.

Nicht delegierbare Tätigkeiten sind:

  • Anamnese
  • Indikationsstellung
  • Körperliche Untersuchung und invasive Diagnostik
  • Diagnosestellung
  • Aufklärung und Beratung
  • Therapieentscheidung
  • Invasive Therapien und operative Eingriffe

In vielen dieser Bereiche kann nicht-ärztliches Fachpersonal dennoch helfen. So dürfen Fachkräfte mit einer entsprechenden Qualifikation...

…einen Anamnese-Fragebogen mit Patient:innen durcharbeiten, wenn die Angaben im ärztlichen Gespräch überprüft und ergänzt werden.

…schriftliches Informationsmaterial zur Aufklärung aushändigen.

technische Untersuchungen wie Röntgen und MRT durchführen. Bei risikoreichen Untersuchungen müssen Ärzt:innen in der Nähe sein. Anordnung, Befundung und Befundbewertung lassen sich ebenso wie Endoskopien und Sonografien nicht delegieren.

…kapilläre und venöse Blutentnahmen durchführen.

…subkutane, intramuskuläre und intravenöse Injektionen oder Infusionen durchführen (Ausnahme: intravenöse Erstapplikationen).

Impfungen durchführen – vorausgesetzt, Anamnese und Aufklärung sind im ärztlichen Gespräch erfolgt.

…in ärztlicher Anwesenheit Allergietests durchführen.

…transurethrale Blasenkatheter einlegen.

…unkomplizierte und komplizierte Wunden versorgen – letztere allerdings nur nach ärztlicher Festlegung des Vorgehens und unter regelmäßiger ärztlicher Überwachung.

…nach ärztlicher Anordnung standardisierte Testverfahren wie psychometrische Tests oder den Barthel-Index durchführen. Die Auswertung bleibt eine ärztliche Aufgabe.

Regelungen im ambulanten Bereich

2011 wurde das GKV-Versorgungsstrukturgesetz verabschiedet, das die Patientenversorgung verbessern soll – unter anderem, indem es das Delegieren vereinfacht. Ein Beispielkatalog benennt delegierbare Tätigkeiten sowie die jeweilige Mindestqualifikation und legt fest, wann nicht-ärztliches Personal komplett eigenständig arbeiten darf und wann Rücksprache zu halten ist. Meistens ist initial ein ärztlicher Kontakt nötig.

Delegierbare Aufgaben im ambulanten Bereich:

  • Administrative Tätigkeiten
  • Anamnesevorbereitung
  • Aufklärung/Aufklärungsvorbereitung
  • Technische Durchführung von Untersuchungen
  • Früherkennungsleistungen
  • Hausbesuche, etwa zur Wundversorgung und Blutdruckmessung
  • Injektionen und Infusionen
  • Labordiagnostik
  • Unterstützende Maßnahmen zur Diagnostik/Überwachung (Blutentnahme, Vitalparametermessung)
  • Wundversorgung und Verbandswechsel

Gesetzliche Grundlagen

Laut Sozialgesetzbuch umfasst die ärztliche Behandlung nicht nur persönlich ausgeführte Tätigkeiten, sondern auch solche, die nicht-ärztliches Personal auf ärztliche Anordnung hin ausführt. Das Prinzip der persönlichen Leistungserbringung bedeutet, dass eine Behandlung auf Basis eines Vertrauensverhältnisses stattfindet – und nicht, dass Ärzt:innen alle Tätigkeiten selbst durchführen müssen.

In Einzelfällen ist es gesetzlich geregelt, dass medizinische Tätigkeiten Ärzt:innen vorbehalten sind. Dazu gehören das Arzneimittelgesetz, das Embryonenschutzgesetz, das Transfusionsgesetz und das Infektionsschutzgesetz. Demnach dürfen nur Ärzt:innen Medikamente verschreiben, künstliche Befruchtungen durchführen, Blutprodukte anwenden oder sexuelle Infektionskrankheiten diagnostizieren und behandeln.

Das AMBOSS-Kapitel Ärztliche Rechtskunde enthält weitere Inhalte zur Delegation ärztlicher Tätigkeiten und möglichen Konsequenzen.ZUM AMBOSS-KAPITEL

 

Im ambulanten Bereich bildet der Bundesmantelvertrag die Grundlage. Dabei handelt es sich um eine Vereinbarung zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen. Der Vertrag beinhaltet auch eine Delegationsvereinbarung, die Versorgungsinhalte und deren Geltungsbereich regelt.

Delegation als Zukunftsmodell?

Da Gesetze sich den Bedürfnissen der Gesellschaft anpassen, spielen inzwischen auch Fachkräftemangel und Versorgungsprobleme eine Rolle. In den letzten Jahren wurden immer mehr Gesetze verabschiedet und Vereinbarungen getroffen, um nicht-ärztliches Personal stärker einzubinden. Bereits 2008 wurden im Ulmer Papier gesundheitspolitische Leitsätze der Ärzteschaft festgelegt, die auch die Entlastung durch Delegation forderten. 

Auch der Deutsche Berufsverband für Pflege hat sich zum Delegieren positioniert. Unter anderem lehnt der Verband es ab, Aufgaben in immer kleinere Schritte zu unterteilen, die dann von geringstmöglich qualifizierten Mitarbeitenden übernommen würden. Es sei wichtig, dass die Qualität der Versorgung unterstützt und die Qualifikation der Berufsgruppen beachtet werde. 

Um Ärzt:innen in ihren immer komplexer werdenden Aufgaben zu entlasten, ist eine neue Berufsgruppe entstanden: Physician Assistants. Dies sind Fachkräfte mit Hochschulabschluss, die die Brücke zwischen Ärzt:innen und Pflegenden bilden. Seit 2005 unterstützen und entlasten sie Ärzt:innen im Gesundheitssystem.

Delegieren ist immer wieder aufs Neue eine individuelle Entscheidung. Wer richtig delegieren möchte, muss die eigenen Pflichten ebenso berücksichtigen wie die Fähigkeiten und Kapazitäten anderer, um letztendlich im Sinne der Patient:innen zu handeln.

Und was darf an Studierende delegiert werden? Dazu gibt es einen eigenen Blog-Artikel sowie Informationen im AMBOSS-Kapitel Entrustable Professional Activities.

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Quellen

  1. Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung: Persönliche Leistungserbringung - Möglichkeiten und Grenzen der Delegation ärztlicher Leistungen. Bundesärztekammer. Published August 8, 2008. Accessed November 4, 2021. https://www.bundesaerztekammer.de/richtlinien/thematische-uebersicht/delegation/#_ftn6
  2. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der GKV-Spitzenverband: Vereinbarung über die Delegation ärztlicher Leistungen an nichtärztliches Personal in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 28 Abs. 1 S. 3 SGB V vom 1. Oktober 2013 Stand: 1. Januar 2015. Accessed November 4, 2021. https://www.kbv.de/media/sp/24_Delegation.pdf
  3. Birgit Krull: Delegation ärztlicher Leistungen an nichtärztliches Personal: Möglichkeiten und Grenzen. Deutsches Ärzteblatt. Published 2015. Accessed November 4, 2021. https://www.aerzteblatt.de/archiv/167261/Delegation-aerztlicher-Leistungen-an-nichtaerztliches-Personal-Moeglichkeiten-und-Grenzen
  4. Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe: Position des DBfK zur Neuordnung von Aufgaben im Krankenhaus. Published March 2010. Accessed November 4, 2021. https://www.dbfk.de/media/docs/download/DBfK-Positionen/Position-zu-Delegation-im-Krankenhaus_2010-03-29.pdf
  5. Bundesministerium für Gesundheit: GKV-Versorgungsstrukturgesetz. Published October 25, 2017. Accessed November 4, 2021. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/v/versorgungsstrukturgesetz.html
  6. Bundesministerium für Gesundheit: GKV-Versorgungsstärkungsgesetz. Published January 25, 2018. Accessed November 4, 2021. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/g/gkv-versorgungsstaerkungsgesetz.html
  7. PRO PflegeManagement: Delegation ärztlicher Leistungen. Accessed November 4, 2021. https://www.ppm-online.org/pflegedienstleitung/recht-in-der-pflege/delegation-aerztlicher-leistungen/
  8. Wege für interdisziplinäre und teamorientierte Patientenversorgung gesucht. Deutsches Ärzteblatt. Published November, 2 2021. Accessed November 4, 2021. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/128588/Wege-fuer-interdisziplinaere-und-teamorientierte-Patientenversorgung-gesucht