Die Endometriose: eine unterschätzte Differenzialdiagnose

Patricia Hinske - Freitag, 29.7.2022
Prof. Mechsner im Interview zu Endometriose im AMBOSS-Podcast.

--- Dieses Transkript, erstellt von Philippa von Schönfeld und Anne Vahldieck, gibt unsere Podcast-Folge mit Prof. Dr. med. Sylvia Mechsner im Wortlaut wieder. Sprachliche Ungenauigkeiten bitten wir vor diesem Hintergrund zu entschuldigen. Wir haben dieses Gespräch im Juni 2020 aufgezeichnet. —

Auf einen Blick

  1. Warum die späte Diagnosestellung?
  2. Fallbeispiele aus der Klinik
  3. Pathophysiologie: alte und neue Thesen
  4. Diagnostik bei Verdacht auf Endometriose
  5. Tipps zu Anamnese und Therapiemöglichkeiten
  6. Argumente für eine medikamentöse Therapie 
  7. Komplementäre Therapieansätze und die Bedeutung von Schmerz
  8. Stand der Forschung und Ausblick

Warum die späte Diagnosestellung?

AMBOSS: Die Endometriose ist ja eine Erkrankung, die vor allem bei jungen Frauen in der reproduktiven Lebensphase auftritt. Sie kann dann mit sehr starken Schmerzen, vor allem im Unterbauch, einhergehen. Und was viele nicht wissen, ist, dass mindestens wohl zwei Millionen Frauen in Deutschland davon betroffen sind - also eine gar nicht so seltene Erkrankung. Das sind eher Dimensionen, die man vielleicht von einer Erkrankung wie Diabetes mellitus kennt. Und trotzdem können bei vielen Betroffenen schon mal sechs bis zehn Jahre vergehen, bis die richtige Diagnose gestellt ist. Woran liegt denn das?

Mechsner: Das ist nicht ganz so einfach zu erklären, weil es auf sehr vielen Dimensionen natürlich mögliche Störungen in den gesamten Abläufen im Moment gibt. Das Erste ist, dass wir sicherlich als Ärzte zwar lernen, eine gute Anamnese zu machen, aber oft nicht die Zeit ist im normalen Alltag. Gerade in Frauenarztpraxen, wo junge Frauen mit Regelschmerzen eigentlich anlaufen - da fehlt oft die Zeit jetzt eine gute Schmerzanamnese zu machen. Ein anderes Problem ist sicherlich auch, dass man auch aus dem Umfeld oft zu hören bekommt: "Naja, Regelschmerz, Mädchen, das kommt noch, das muss sich erst einspielen. Da musst du durch. Das haben alle." Und somit denken eben viele Mädchen: "Ah ja, das ist jetzt so, das ist jetzt mein Schicksal." Und erzählen das dann vielleicht auch nicht mehr so intensiv. Aber letztlich muss man sagen, dass das natürlich in die Verantwortung des Frauenarztes gehört, explizit nachzufragen: “Wie läuft die Regelblutung ab und bestehen Schmerzen?” Schmerzen, die zum Beispiel wirklich zu einer Bettlägerigkeit, Schulunfähigkeit, Sportunfähigkeit führen – und das regelmäßig und auch nicht mit ein oder zwei Tabletten Ibuprofen oder Buscopan zu regeln ist – sollten daran denken lassen. Nur ist es eben so, dass das natürlich ganz zu Anfang dieser Erkrankung oft nicht sichtbar ist. Wenn man dann eine gynäkologische Untersuchung macht, dann sieht die Gebärmutter unauffällig aus, die Organe sehen unauffällig aus und dann ist oft die Situation, dass der Frauenarzt dann sagt: "Es ist aber nichts, es ist einfach… Da müssen Sie mit leben."

AMBOSS: Sie sagten ja eben, dass die Patientinnen vor allem Unterbauchschmerzen haben. Treten die zyklusabhängig auf? Oder wann muss ich als, sag ich mal, Hausarzt oder auch selber als Betroffene an eine Endometriose denken?

Mechsner: Genau. Also das ganz, ganz Typische – und das berichten eben über 70 Prozent aller Betroffenen, auch wenn sie eben zehn Jahre später erst ihre Diagnose bekommen – ist es, dass man relativ bald nach Einsetzen der Blutung eben diese starken Regelschmerzen bekommt. Aber die kündigen sich oft auch schon mit Unterbauchschmerzen vor den Tagen an – also bis zu einer Woche – bevor dann letztlich die Blutung eintritt. Mit der Blutung [folgen] dann extreme Schmerzen. Die Organe, die viszeralen Organe sind sensibel versorgt und mit dem autonomen Nervensystem natürlich überwiegend innerviert. Und da gibt es Kreuzreaktionen oder Interaktionen. Und deswegen kommt es sehr häufig – und das ist wirklich auch ein wichtiges Leitsymptom – zu Übelkeit und Erbrechen, also vegetativer Begleitsymptomatik, die dann natürlich auch ein starkes Krankheitsgefühl verursacht. Die Mädchen oder auch Frauen berichten mir wirklich, dass sie regelmäßig kollabieren und quasi krank zusammengekrümmt neben der Toilette liegen und dann auch noch oft Durchfall dazu haben. Also zyklische Diarrhö ist auch etwas, was ganz typisch in diese Mitreaktion, in diese vegetative Mitreaktion fällt.

Fallbeispiele aus der Klinik

AMBOSS: Sie leiten ja jetzt schon seit vielen Jahren das Endometriosezentrum. Da kann ich mir vorstellen, dass es Patienten gibt, die zu ihnen gekommen sind, die vielleicht auch jahrelang unter Beschwerden gelitten haben und möglicherweise eine Odyssee an Arztbesuchen hinter sich haben. Gibt es da Patientenfälle, die Ihnen noch besonders im Kopf hängen geblieben sind?

Mechsner: Ja, da kann ich mich wirklich an eine Frau sehr gut erinnern, die kam in einem Alter von 38 Jahren letztlich zu uns. Sie hatte allerdings schon vier Wochen vorher oder so wegen akuten Unterbauchschmerzen letztlich eine Notlaparoskopie bei einer Endometriosezyste [gehabt]. Und die Diagnose war dann quasi in einem kleinen Krankenhaus gestellt worden, aber die haben den Bauch gleich wieder zugemacht, weil der Befund eben so ausgeprägt war. Und diese Patientin, die hat letztlich über sehr, sehr, sehr starke Regelschmerzen geklagt und über zyklische, neurologische Beschwerden. Die hatte nämlich im Grunde genommen… Nur hat das keiner so benannt. Sie hatte eine Schmerzausstrahlung ischialgiform, mit Ausstrahlung eben in den Po und in das hintere Bein und mit elektrischen Schmerzimpulsen wenn sie abends auch auf dem Sofa lag. Oder zum Beispiel wenn sie ihre Skischuhe anhatte, dann ist immer sofort der Unterschenkel eingeschlafen mit Druck auf dem Peroneus. Die [Patientin] hatte letztlich eine so große rektovaginale Endometriose, die den Plexus sacralis mit infiltriert hat - mit eben einer Betroffenheit der Nerven. Und wir haben dann letztlich eine achtstündige Operation durchgeführt mit Hysterektomie, Plexus-sacralis-Darstellung und Darmteilresektion. Das war wirklich eine eindrucksvolle Operation. Und was ich nie wieder vergessen werde, ist, dass sie zwei Tage nach dieser wirklich großen Operation strahlend im Bett saß und sagte: "Frau Mechsner, der Schmerz ist weg." Dabei kann man sich das gar nicht vorstellen nach so einer OP. Und sie hat wirklich bei Entlassung geweint, weil ihr das alles noch mal so bewusst geworden ist, dass sie über 20 Jahre mit diesen Beschwerden rumgelaufen ist und die letzten Jahre eben so extrem schmerzhaft waren mit dieser neurologischen Symptomatik und sie eben diese schwere Nervenbeteiligung hatte.

AMBOSS: Das ist ja auch unglaublich, weil das ja hier Patientinnen sind, die vielleicht auch vorher erst mal zum Orthopäden gehen und sagen: "Ich habe hier Schmerzen."

Mechsner: Genau, ja!

AMBOSS: Und dass selbst der Orthopäde, wenn hier welche unter den Zuhörern sind, einfach eigentlich auch an so ein gynäkologisches Krankheitsbild denken muss.

Mechsner: Sie hatte glaube ich sogar ein PET-CT bekommen und da hatte man Entzündungszeichen in diesem Bereich gesehen und hatte dann aber gesagt, sie hat eine Entzündung vom Iliosakralgelenk und das war quasi die Fehldiagnose, das hatte sie nämlich dann auch schon… Das war die Endometriose, die dort eben auch lokalisiert war.

AMBOSS: Das Krankheitsbild der Endometriose wird ja auch häufig als Chamäleon der Gynäkologie bezeichnet, eben weil es so unterschiedliche Symptome präsentiert. Und Sie haben im Vorfeld in unserem Gespräch vorhin schon von einer anderen Patientin gesprochen, das fand ich auch sehr spannend: Die nämlich, glaube ich, jahrelang bei einem Gastroenterologen war, wo die Diagnose auch nicht direkt gestellt wurde.

Mechsner: Ja das ist auch ganz interessant und auch immer wieder wichtig, daran zu denken, dass eben ungefähr zehn Prozent… Also Endometriose ist sehr häufig und es gibt sehr viele unterschiedliche Manifestationsformen. Und ungefähr zehn Prozent der Frauen mit Endometriose haben sogenannte tiefinfiltrierende Endometrioseherde und die können eben auch den Darm betreffen. Das macht Darmbeschwerden - und zwar in der Regel zyklische Darmbeschwerden. Das kann, wenn die Herde dann größer werden, natürlich auch zu Lumeneinengungen führen. Und gerade wenn das Gewebe zyklisch anschwillt, dann ist diese Lumeneinengung eben zyklisch. Das heißt, dass sie einen zyklischen Subileus im Extremfall haben können. Oder aber viele haben natürlich Stuhlunregelmäßigkeiten im Sinne von paradoxen Stühlen, Bleistiftstühlen oder einfach Schmerzen beim Stuhlgang. Und diese Patientin war nun immer in gastroenterologischer Untersuchung und die reine Darmspiegelung zeigte, dass die Mukosa unauffällig war, denn die Endometrioseherde wachsen von außen durch die Darmwand und sehr selten ist eigentlich nur die Mukosa betroffen. Wenn die Mukosa betroffen ist, dann kommt es sogar auch zu zyklischer Darmblutung. Das muss aber nicht immer dabei sein und das hatte diese Patientin eben nicht. Sie hatte keine Mukosa-Betroffenheit. Die Biopsie war unauffällig, aber der Gastroenterologe hat eben diese Darmstenose gesehen und die wurde – weil ohne histologischen Befund – immer dilatiert. Über anderthalb Jahre hat man regelmäßig diese Darmendometriose dilatiert und die ist natürlich sofort wieder eng geworden. Das war natürlich keine Lösung und auch die wurde eben dann groß operiert.

AMBOSS: Das ist tragisch zu hören, weil es einfach erst mal – was wir schon gesagt haben – ein häufiges Krankheitsbild ist, aber auch zweitens zu einer reduzierten Lebensqualität führt.

Mechsner: Absolut!

AMBOSS: Wenn man das hört, was Sie jetzt erzählen: Die Patientinnen laufen wirklich von Arzt zu Arzt, von Fachdisziplin zu Fachdisziplin. Sie hatten eben auch im Vorgespräch erwähnt, es gibt auch Patientinnen, die einfach nur mit Schulterschmerzen vielleicht zum Hausarzt gehen. Und auch hier kann vielleicht eine Endometriose dahinterstecken. Und deswegen machen wir ja auch die Sendung heute, um einfach zu sensibilisieren, dass man das als Differenzialdiagnose noch mal im Kopf hat.

Mechsner: Da muss man immer, immer an den Zyklus denken, man muss immer... Alles was zyklisch auftritt, genauso wie zyklische Schulterschmerzen: da kann nämlich das Zwerchfell betroffen sein und über die Innervation des Nervus phrenicus strahlt das eben in die Schulter aus. Es gibt eigentlich gar nichts anderes, was das macht. Es ist der Klassiker. Nur muss man natürlich eine gute Anamnese machen. Man muss wissen, nimmt die Patientin die Pille – dann hat sie natürlich keinen Zyklus. Dann sind die Beschwerden oft diffuser und azyklisch – ist ja klar, die haben ja keinen Eisprung. Und die Herde sind… Deswegen haben wir ja so ein großes therapeutisches Problem, weil anfangs kann das ganz gut klappen, dass durch die hormonelle Downregulation, also den eigenen Eisprung zu unterdrücken, Endometrioseherde eben dann in dem Moment inaktiv sind. Aber sie können eben auch eine Art Eigenleben entwickeln durch eine eigene Innervation, durch Entzündung. Und dann werden die Beschwerden… Oder kommen eben zu den zyklischen auch azyklische Beschwerden dazu und die sind eben auch weiter bestehend unter der Pille.

AMBOSS: Das erschwert das Ganze nochmal.

Mechsner: Das macht das wirklich kompliziert manchmal.

Einen Überblick über die umfangreichen und unspezifischen Symptome der Endometriose, Tipps zur Diagnostik und Hinweise zur medikamentösen und operativen Therapie finden sich auf AMBOSS. 

ZUM AMBOSS-KAPITEL

 

Pathophysiologie: alte und neue Thesen

AMBOSS: Vielleicht noch mal ganz kurz, bevor wir gleich auch über die Diagnostik und Therapiemöglichkeiten sprechen, gehen wir einen Schritt zurück. Vielleicht wenn Sie uns noch mal ein bisschen erzählen, was passiert jetzt genau bei der Endometriose im Körper?

Mechsner: Ja, das ist auch total spannend, weil wir es auch nach wie vor nicht so genau wissen. Die ganz alten Theorien von 1920 hat Sampson, ein Amerikaner, schon beschrieben: "Das muss retrograde Menstruation sein." Also wir wissen das ja auch, wenn Frauen ihre Regelblutung haben und wir gucken zu dieser Zeit in den Bauch, dann haben sehr viele Blut im Bauch. Also es ist völlig normal, dass durch offene Eileiter Blut in den Bauch fließt. Aber das haben eben 90 Prozent aller Frauen. Es haben nicht 90 Prozent aller Frauen Endometriose. Also das kann es alleine nicht sein. Heutzutage glauben wir, dass die Gebärmutter als solches erkrankt ist. Und zwar wissen wir, wie ich vorhin auch schon gesagt habe, dass die meisten Frauen von primärer Dysmenorrhö sprechen, dass also von Anfang an die Regelblutung schmerzhaft ist und mit der Zeit immer schmerzhafter und schmerzhafter wird. Und wenn wir uns mal an den Darm erinnern, an die Anatomie des Darmes, dann haben wir die Muskulatur, wir haben eine bindegewebige Verschiebeschicht und erst dann kommt die Mukosa. Das heißt, dort sind Volumenschwankungen vorgesehen. Das macht dem Darm nichts aus. Der kann sich mal weiten und wieder engstellen ohne, dass da irgendwas kaputt reißt. Bei der Gebärmutter haben wir aber die Schleimhaut und direkt die Muskulatur ohne jegliche Verschiebeschicht. Wenn jetzt so eine Gebärmutter sehr stark krampft und sich sehr stark bewegen kann, gehen wir im Moment davon aus, dass es in dieser Übergangsschicht zu einer Mikrotraumatisierung kommt, dass dort Stammzellen einwandern, auch zum Repair. Da sind ja sowieso Stammzellen, die aktiviert werden, das muss ja repariert werden. Im Zuge dessen werden Enzyme reguliert wie Aromatase, die bildet Östrogene. Östrogen ist für die Wundheilung unerlässlich, fördert wieder die Proliferation und Angiogenese. Und damit geht wahrscheinlich auch sogar eine lokale Oxytocin-Freisetzung einher, sodass diese Gebärmutter noch stärker kontrahiert. Also es ist wie ein Circulus vitiosus. Und die Umbauvorgänge können wir eigentlich auch in 3D-Ultraschall mittlerweile gut sehen. Diese “junction zone”, diese Übergangszone, die ist fissuriert und rupturiert und wir in unserer Forschung haben das auch elektronenmikroskopisch untersucht und konnten auf jeden Fall ganz große Unterschiede in dieser Zone zeigen im Vergleich zu Frauen ohne Endometriose. Und da sagen wir sogar - es gibt einen neuen Begriff, das ist sozusagen ganz brandaktuell -, dass dieser Beginn eine Archimetriose ist. Diese Schicht heißt nämlich Archimetra, das ist eine phylogenetisch alte Schicht. Die Neometra, das ist die Muskelschicht, die außen am Uterus später in der Evolutionsgeschichte dazugekommen ist, bei Primaten, die Wehen haben. Diese Schicht macht die Wehentätigkeit aus. Und diese Archimetra hat diese Eigenperistaltik. Es ist eigentlich ganz interessant, dass der Uterus ja ein Muskel ist und natürlich auch Bewegung macht. Und im Grunde genommen gibt es sogar die Überlegung, warum Endometriose so häufig ist. Warum ist es so häufig? Das ist ja die große Frage. Und wir haben auch… Der Professor Leyendecker hat die Idee sehr vorangetrieben, dass es vielleicht früher, also ganz früher, als Frauen noch mit 14 oder sogar noch jünger in die Reproduktion gegangen sind… Das ist ja eigentlich unsere Aufgabe auf dieser Welt, ob es uns nun gefällt oder nicht. Es ist nicht ganz physiologisch, dass wir nicht schwanger sind, sondern jeden Monat bluten. Also dass diese Frauen eben vielleicht sehr gut schwanger geworden sind, die eine gute Uterusmuskulatur und Kontraktion hatten, dass die auch eine gute Geburt haben konnten. Die Geburt muss ja erfolgreich abgeschlossen werden – wenn die Geburt zum Stillstand kommt, dann ist das damals ein Todesurteil gewesen. Und postpartal sollte man auch nicht noch verbluten. Also auch da war die Uteruskontraktion gefragt. Vielleicht gab es sozusagen einen gewissen Vorteil. Dieser Überlebensvorteil dieser Frauen, die früh schwanger geworden sind und das dann weitergegeben haben. Denn Endometriose ist mit zehn Prozent sehr, sehr häufig. Es ist wie polyzystische Ovarien, die haben auch… Die Patientinnen mit PCO-Syndrom haben auch gewisse Überlebensvorteile.

Diagnostik bei Verdacht auf Endometriose

AMBOSS: Wenn ich jetzt den Verdacht habe, vielleicht sagen wir mal als Hausarzt, ich habe eine Patientin mit Endometriose, was sind dann für mich jetzt schon mal die ersten Schritte oder würde ich sie direkt zum Gynäkologen weiterschicken oder was kann ich selbst als Hausarzt machen?

Mechsner: Man kann sie in ein Endometriosezentrum schicken, denn die Leute haben in der Regel mehr Zeit für die Anamnese und natürlich auch einen besseren Blick, was da jetzt an Endometriose hinterstecken könnte. Denn wie gesagt ist es sehr schwer zu diagnostizieren. Für viele Frauenärzte sieht alles normal aus und es wird eben nicht erkannt. Aber wir haben sehr, sehr viel gelernt in den letzten Jahren über Ultraschall und können eigentlich… Die jüngere Generation behauptet und sagt: "Nein, wir können Endometriose auch so diagnostizieren. Wir brauchen keine Bauchspiegelung mehr zwingend, um zu sagen, jemand hat sehr, sehr, sehr wahrscheinlich Endometriose." Und so ist auch das Vorgehen, dass wir das vermuten und quasi schwere Organschäden ausschließen wie Darmbefunde, Zysten, Harnleiter - das muss man alles im Blick haben. Denn zum Beispiel gibt es auch Endometriosen, die den Harnleiter verlegen und was passiert dann? Dann hat man einen unerkannten Nierenstau. Und ich kenne Frauen, die ihre Niere verloren haben, durch Endometriose. Also das sind immer Dinge, die man wirklich ganzheitlich im Blick haben muss. Und wenn man aber relativ sicher ist, dass da keine Organdestruktion vorliegt, dann behandele ich die [Frauen] natürlich trotzdem. Das ist das Wichtige, dass ich sie da nicht einfach weiter umherirren lasse, sondern dass ich die Patientin mitnehme, mit ihr spreche, ihr alles erkläre und ihr sage, welche Therapiemöglichkeiten es gibt, worauf sie achten muss, was sie selber machen kann. Denn was ein großes Problem ist, wenn Frauen mit Beschwerden rumlaufen, die offensichtlich nicht normal sind und das Leben derartig beeinträchtigen, aber keiner nimmt das wahr und die Frau ernst, dann hat das so viele andere anderweitige Auswirkungen. Die Frauen entwickeln Ängste, dann denken sie, sie spinnen oder… Sie sind dann zum Teil ganz glücklich, wenn sie endlich ihre Endometriose diagnostiziert bekommen, weil sie sagen: "Ach, Gott sei Dank, ich habe mir das nicht eingebildet."

Tipps zu Anamnese und Therapiemöglichkeiten

AMBOSS: Das glaube ich. Also in der Diagnostik spielt der Ultraschall eine ganz wichtige Rolle, sagen Sie. Also, nicht jede Patientin muss laparoskopiert werden, aber ansonsten gibt es keinen Frühtest, es gibt keinen Labortest?

Mechsner: Nein, leider nicht. Da sind ganz viele Leute ganz verrückt dabei, das natürlich etablieren zu wollen, weil man damit bestimmt viel Geld verdienen kann. Aber das ist eben wirklich viel Erfahrung, die man dazu braucht - gute, gute Anamnese. Das muss man wirklich versuchen auseinander zu klamüsern, wann ist was gewesen? Man fängt am besten wirklich mit der ersten Regelblutung an und lässt sich alles ganz genau erzählen. Wann hat man welche Pille genommen? Wie war das? Wie war das während der Abbruchblutung? Taten die Schmerzen weiterhin weh? Das ist nämlich auch so ein indirekter Hinweis, wenn man eine Pille nimmt und man hat die Abbruchblutung, dieses klassische Einnahmeschema… [Und] man hat weiterhin sehr, sehr starke Regelschmerzen, die sind meist etwas gebessert, aber die [Frauen] leiden trotzdem, [dann] ist das ein Hinweis auf Endometriose. Und deswegen versucht man das alles wirklich Schritt für Schritt zu verstehen, was wann wie war. Wann Schmerzen beim Stuhlgang und Wasserlassen sind, muss man unbedingt auch fragen. Wie ist es mit dem Geschlechtsverkehr? Vor allen Dingen: Wo tut das genau weh beim Geschlechtsverkehr? Ist es der Scheideneingang oder ist es in der Tiefe? Und das sind ja auch alles so Themen, da kann man ja nicht [fragen]: "Guten Tag gute Frau, setzen sich mal hin. Und wie ist das eigentlich beim Geschlechtsverkehr?" Das kann man ja einfach nicht fragen. Das heißt, da braucht man ein gewisses Vertrauensverhältnis, bis man sich darüber unterhalten kann und da vergehen ein paar Minuten.

AMBOSS: Aber das finde ich gut, dass Sie das noch mal ansprechen und uns auch gerade Beispiele für gute Anamnesefragen gegeben haben. Sehr gut, vielen Dank. Wir haben über Diagnostik gesprochen. Was gibt es denn als Therapiemöglichkeiten? Die Operation haben Sie schon erwähnt, aber die ist ja nicht immer die erste Wahl. 

Mechsner: Genau. Wenn ich jetzt also meine Anamnese habe und ich denke, die Frau oder das Mädchen, [da] könnten die Beschwerden passen, dann mache ich meinen Ultraschall. Ich schaue mir also die Gebärmutter an, ich gucke mir die Seitenwände an. Ich gucke genau, könnte sie Adenomyose haben? Aber selbst wenn das nicht eindeutig vorliegt und sie trotzdem extrem starke Regelschmerzen hat, muss das behandelt werden. Ich kann mir das Septum angucken, ich kann den Darm sehen. Ich kann gucken, ob die Organe verschieblich sind zueinander. Ich kann die Eierstöcke angucken, auch dort sehen, verschiebt sich alles? Also ich kann sagen, hat jemand eine ausgeprägte Endometriose oder nicht? Wenn ich jetzt sage: "Okay, sie hat vielleicht eben Adenomyose oder Archiemetriose. Sie hat die Beschwerden, aber keine Organdestruktion nach außen - dann empfehlen wir erst mal eine konservative Therapie." Das heißt im Grunde genommen eine Gestagenmonotherapie. Eine Minipille ist zu wenig, [aber] Desogestrel zum Beispiel oder Dienogest – Dienogest ist in Deutschland zugelassen für die Behandlung von Endometriose. Und dann soll eine therapeutische Amenorrhö eingeleitet werden. Die soll jetzt erst mal nicht bluten. Und wenn eine Patientin nicht blutet und dann keine Beschwerden mehr hat, also völlig beschwerdefrei ist, dann kann das erst mal so bleiben. Wichtig ist dann, die Situation abzupassen - was sind jetzt zum Beispiel Nebenwirkungen durch das Medikament? 

Argumente für eine medikamentöse Therapie

Mechsner: Es ist ja auch nicht gerade modern, heutzutage Hormone zu nehmen. Viele sagen: "Nein, das möchte ich auf gar keinen Fall." Das ist einfach ein aktueller Trend. Da muss man eben auch erklären können, was bedeutet es, wenn man seinen natürlichen Zyklus hat - nämlich sehr viele Hormone im Körper, sehr hohe Östrogenspiegel, die ja dazu führen sollen, dass die Gebärmutterschleimhaut sich aufbaut. Die ist ja zur Zeit der Menstruation 12 bis 15 Millimeter dick. Das ist ja richtig Gewebe und das muss ja auch aufgebaut werden. Und so verhält sich nun mal dann auch die Endometriose. Und das ist – und da führt einfach kein Weg dran vorbei – kontraproduktiv für eine Patientin mit Endometriose. Und wichtig ist eben diese therapeutische Amenorrhö. Denn es ist ganz klar: Gestagene führen oft auch zu Schmierblutungen - das ist ein großes Problem - und dann haben die Frauen aber auch Schmerzen. Und dann können wir eigentlich gar nicht beurteilen, ob die Therapie nun greift oder nicht greift, weil sie ist in dem Moment nicht suffizient, also eine suffiziente Hormontherapie. Dann können wir entscheiden: Wenn Frauen darunter dann weiter Schmerzen haben, eben mehr azyklische Beschwerden oder weiter bestehende Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, dann ist so der Moment, wo man sagt: "Okay, wir setzen alles wieder ab." Denn die Hormone können verschiedene Bauchfellherde auch downregulieren, wir sehen sie dann nicht mehr so gut. Wir setzen alles wieder ab und planen eben sechs, acht Wochen später eine Laparoskopie und schauen uns das dann an. Und dann ist es tatsächlich oft so, dass wir Bauchfellherde finden und dann sollte man die auch rausnehmen, denn dann sind die auch mit Trigger der Schmerzen. Nur nach der OP muss man wieder an eine Hormontherapie denken - wegen der Rezidivprophylaxe und weil wir auch die Gebärmutter nicht rausgenommen haben und die Regelschmerzen ja oft auch bestehen bleiben.

Komplementäre Therapieansätze und die Bedeutung von Schmerz

AMBOSS: Wie schaut es mit komplementären Möglichkeiten aus? 

Mechsner: Das ist auch total wichtig, weil das auch noch mal wichtig ist zu verstehen: Was passiert eigentlich, wenn man so super starke Schmerzen hat? Denn der Schmerz als solches hat ja auch eine physiologische Bedeutung, nämlich ist es eine Warnfunktion. Und anfangs werden bei Regelschmerzen sehr viele Prostaglandine freigesetzt und es ist auch ein Ungleichgewicht zwischen Prostaglandin und Prostacyclin, sodass es tatsächlich auch zu Kontraktion oder Abdrücken von Gefäßen kommt. Dadurch erklärt man sich, dass der Regelschmerz so stark sein kann, wie ein ischämischer Schmerz. Also es ist schon ein ganz ordentlicher Schmerz. Und mit Nachlassen der Blutung und Rückgang der inflammatorischen Mediatoren und so weiter, heilt es auch ab. Aber wenn das jetzt immer wieder kommt, dann muss man sich das im Grunde genommen ein bisschen so vorstellen wie: "Ich habe eine Blase am Fuß und ich ignoriere die und laufe weiter darauf rum." Was passiert dann? Der Körper sensibilisiert immer mehr und am Ende tut der Fuß so weh, als wenn ich da auf… Ich kann gar nicht mehr laufen. Das ist ein unerträglicher Schmerz. Und so muss man sich das auch mit immer wiederkehrenden Regelschmerzen vorstellen, dass der Körper leider nicht sagt: "Ach, das schon wieder, das kann ich vergessen." Sondern auf spinaler Ebene werden Sensitivierungsmechanismen hochgefahren, es werden andere Neurotransmitter freigesetzt und das nozizeptive Feld wird erweitert. Und deswegen erklärt sich dann auch, dass eben Blasen- und Darmentleerung zyklisch auch wehtun. Das wird alles empfindlicher und wir wissen, dass auch zentrale Sensitivierungsmechanismen sogar im Gehirn nachweisbar sind, sichtbar sind mit funktionellen MRTs. Und erste Veränderungen kann man schon nach einer Schmerzzeit von zwei Jahren sehen. Das heißt, ein Mädchen mit elf, die dann schon gleich Regelschmerzen hat, die hat dann schon mit 13 Veränderungen in den Schmerz-gelinkten [Schmerz-verknüpften, Anm. der Redaktion] Hirnarealen. Das heißt, wir wissen ja auch nicht, was das langfristig bedeutet. Triggert das ein chronisches Schmerzsyndrom später vielleicht? Das sind multiple Veränderungen, die wir überhaupt nicht tolerieren können. Und diese Mädchen und Frauen, die liegen ja auch nicht völlig entspannt im Bett und freuen sich, dass sie eben nicht zur Schule können, sondern die liegen dann völlig verkrampft und in einer Schonhaltung und Fehlhaltung, sodass es eben auch zu sekundären Veränderungen des Muskeltonus kommt. Wir nennen das spinale Hyperalgesie mit Beckenbodendysfunktion. Die ganze Dehnbarkeit des Beckenbodens ist nicht mehr gegeben. Das führt zu Schmerzen beim Geschlechtsverkehr - das kann man sich ja vorstellen - oder auch zu Verschiebungen im ISG-Gelenk. Die [Frauen] atmen nicht richtig. 

Mechsner: Der gesamte Bewegungsapparat ist oft mitbetroffen. Und deswegen ist es natürlich total wichtig, dass man zum Beispiel Yoga macht, dass man sich ein Wellnessprogramm erarbeitet, was einem guttut, dass man Magnesium einnimmt - auch eine richtige Schmerztherapie sogar dazunimmt. Und man kann natürlich auch mit TCM, mit Akupunktur, Neuraltherapie antientzündlicher Ernährung arbeiten. Wichtiges Thema zum Beispiel ist auch, dass sehr viele Frauen über so einen zyklischen Blähbauch berichten. Da leiden die total drunter. Der ist dann wie im sechsten Monat - die kommen mit Bildern und zeigen einem das. Und da spielt zum Beispiel auch die Ernährung eine große Rolle - Gluten und Zucker. Anscheinend ist auch das Mikrobiom möglicherweise beteiligt. Da planen wir jetzt auch eine Studie dazu, weil das schon erstaunlich ist, dass sehr, sehr viele eben diese zyklischen Darmbeschwerden haben.

Stand der Forschung und Ausblick

AMBOSS: Sie haben jetzt gerade schon erwähnt, dass Sie eine Studie planen. Wie ist es denn überhaupt im Forschungsbereich? Wo stehen wir denn da, bei der Endometriose? Welche Bestrebungen gibt es da – geben Sie uns einen kleinen Ausblick.

Mechsner: Bestrebungen gibt es ganz große. Aber man muss eben mal sagen, dass Endometrioseforschung eben auch nicht so einfach ist, weil es ja eine gutartige Erkrankung ist, das wissen wir, es ist gutartig. Der Nachteil bei gutartigen Erkrankungen ist, dass wir keine Zellkulturen etablieren können, an denen wir dann die Biologie studieren können – das fehlt uns. Wir haben auch keine richtigen Tiermodelle, wo Endometriose wirklich studiert werden kann. Das sind alles Behelfssachen und leider, leider sind sehr, sehr viele Bemühungen auch aus diesem Bereich, aus dieser Grundlagenforschung, am Ende des Tages nicht auf den Menschen übertragbar gewesen. Wir müssen das alles im Menschen verstehen. Beziehungsweise ist es auch wirklich dann erforderlich, die Erkrankung richtig in allen ihren Facetten zu verstehen. Wenn ich mir jetzt einen Biologen ins Labor setze und sage: "Forsche mal zur Endometriose", dann ist das ein bisschen schwierig, weil das so komplex ist.

AMBOSS: Spannend. Also da bewegt sich was und wir sind gespannt, wie es da in den nächsten Jahren weitergeht. An dieser Stelle sind wir eigentlich schon am Schluss unserer Sendung angekommen und ich freue mich sehr, dass wir über dieses wichtige Thema gesprochen haben. Haben Sie noch für uns etwas, was Sie uns mit auf den Weg geben möchten?

Mechsner: Lieber einmal mehr an Endometriose denken als zu wenig.

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