Akute Pankreatitis: 'Die klinisch schwierigste Frage'

Johanna Tillner - Sonntag, 29.8.2021
Prof. Julia Mayerle lächelt in die Kamera

Die Koordinatorin der neuen DGVS-Leitlinie “Pankreatitis” hat mit uns im Podcast über die akute Entzündung der Bauchspeicheldrüse gesprochen. Wann eine ERCP indiziert ist und welche weiteren Empfehlungen nun gelten, lässt sich in diesem Transkript nachlesen.

AMBOSS: Wir wollen direkt in einen beispielhaften Fall einsteigen: Ich bin Assistenzärztin in der Rettungsstelle. Es ist später Samstagnachmittag, ich habe Dienst. Und nun stellt sich eine 42-jährige Patientin bei uns vor mit Bauchschmerzen seit dem Vorabend sowie Übelkeit und Erbrechen. Was könnte mir diese Patientin noch in der Anamnese erzählen, damit ich differenzialdiagnostisch an eine akute Pankreatitis denke?  

Prof. Dr. med. Julia Mayerle: Die Patientin wird Ihnen wahrscheinlich sagen, dass sie an plötzlich einsetzenden, meist gürtelförmigen Oberbauchschmerzen mit Ausstrahlung in den Rücken gelitten hat, die häufig auch mit Erbrechen einhergehen, und dass sie diese Schmerzen, die sie verspürt, noch nie so erlebt hat. Das heißt, sie ist schmerzgekrümmt und es geht ihr wirklich schlecht. Sie ist wahrscheinlich auch eher tachypnoeisch. Sie zieht die Beine an und ist schwer auf der Liege zu halten. 

AMBOSS: Das ist auf jeden Fall ein klinisches Gesamtbild, wo mir im Kopf schon mal die Differenzialdiagnose Pankreatitis aufkommen sollte. Dazu gibt's natürlich noch weitere Differenzialdiagnosen, auch zum akuten Abdomen. Aber wenn ich mir jetzt die Frage stelle: “Kann die Patientin eine Pankreatitis haben?” Wie beantworte ich mir die? Welche Kriterien müssen erfüllt sein, dass ich sagen kann: Das war eine Pankreatitis. Kann ich das schon so schnell tun? 

Mayerle: Die Definition der Pankreatitis umfasst eine dreifach erhöhte Lipase, gürtelförmige Oberbauchschmerzen und bildgebende Veränderungen. Die kann man entweder in einem CT oder im Ultraschall abgrenzen. Da findet man dann eine aufgetriebene Bauchspeicheldrüse, also ödematös verändert, oder aber auch nekrotische Areale. Und letztendlich müssen zwei dieser drei Faktoren zutreffen. Dann kann man die Diagnose einer Pankreatitis stellen. Wichtig ist dabei eben, dass auch Differenzialdiagnosen mit einer Lipase-Erhöhung einhergehen können, zum Beispiel ein Duodenalulkus oder auch mal eine Gastroenteritis oder eine Hantavirus-Infektion, um etwas Obskureres zu nehmen. Und deswegen ist es ganz wichtig, dass immer zwei von drei Kriterien erfüllt sein müssen.  

AMBOSS: Wenn ich mir jetzt vorstelle: Ich bin Assistenzärztin, wie gesagt, vielleicht im dritten Jahr, habe zwar schon ein bisschen sonografiert, aber bin jetzt noch nicht die Versierteste. Meine Oberärztin ist nur im Hintergrund, es ist vielleicht schon spät; ich bin in einem kleinen Krankenhaus. Und ich habe jetzt für mich die Oberbauchschmerzen und den prallelastischen Bauch auf jeden Fall festgestellt und auch eine dreifache Erhöhung der Lipase. Kann ich dann für den Moment auf die Sonografie verzichten und weitermachen oder würde das jetzt sehr zeitkritisch und schwierig werden?

Mayerle: Ich glaube, man muss etwas in den Vordergrund stellen: In dieser Situation haben Sie ja einen schwerkranken Patienten. Das heißt, die Diagnostik würden Sie sowieso primär erst einmal zurückstellen. Wir sind in dieses Gespräch eingestiegen mit der Differenzialdiagnostik, aber wesentlich wichtiger ist eigentlich, dass Sie primär mal den Patienten stabilisieren. Und so wie wir ihn gerade vorhin dargestellt haben, ist er schmerzgeplagt. Er ist tachypnoeisch. Er ist wahrscheinlich auch tachykard, hat einen niedrigen Blutdruck. Ob die Sättigung schlecht ist, wissen wir nicht, könnte aber theoretisch sein. Und jetzt vollkommen egal, was Ihre Differenzialdiagnosen sind, glaube ich, müssen Sie sich gerade in der Notaufnahme erst einmal um diesen Patienten kümmern. Und das erste, was Sie tun: Sie geben ihm Flüssigkeit. Sie versuchen, ihm die Schmerzen zu nehmen. Sie geben ihm Sauerstoff, weil durchaus gut belegt ist, dass auch allein die Sauerstoffvorlage für ein sekundäres Organversagen präventiv ist. Und das ist eigentlich das Entscheidende in dieser Situation. Im nächsten Schritt erst denken Sie eigentlich darüber nach: Was ist denn die Differenzialdiagnose? Und dann können wir nochmal darüber diskutieren, ob die dreifach erhöhte Lipase und wahrscheinlich auch schon ein CRP, das Sie gefunden haben, ob Sie dann jetzt noch eine Bildgebung brauchen. Und dabei ist es so, dass in der Notaufnahme sicherlich die einzige Bildgebung, die Sie dringend brauchen, wenn Sie sich sicher sind, dass Sie eine Pankreatitis haben, der Ultraschall ist – und dann aber eigentlich nur zur Klärung der Ätiologie der Pankreatitis. Und zwar nicht, um nachzuweisen: Hat er jetzt Nekrosen oder nicht? Das kriegen Sie sowieso nicht raus mit Ultraschall. Oder: Wie ist der Schweregrad? Sondern das Entscheidende ist eigentlich: Hat er Gallensteine und sehe ich einen erweiterten Gallengang? Wobei das noch gar nicht so relevant ist, denn der kann auch weit sein, weil der Pankreaskopf einfach schon angeschwollen ist. Sondern: Sehe ich Gallensteine in der Gallenblase? Wenn ich die sehe, stelle ich mir im nächsten Schritt die Frage: Brauche ich eine frühe ERCP, wenn ich glaube, dass das eine biliäre Pankreatitis ist? Aber im Vordergrund in der Notaufnahme steht die Stabilisierung des Patienten durch eine Volumentherapie, eine Schmerztherapie und eine Sauerstoffvorlage. 

AMBOSS: Bevor wir zur Ursachenfindung, die ja auch wirklich absolut wichtig ist, zurückkommen, sollten wir dann auch diese Frühtherapie nochmal ganz kurz besprechen. Sie haben ja als einen wichtigen Punkt die Volumentherapie angesprochen und da wissen wir alle, dass bei der akuten Pankreatitis eben eine großzügige Volumengabe erforderlich ist. Wenn ich jetzt ab einem frühen Zeitpunkt erstmal den Patienten stabilisieren möchte, genau wie Sie gesagt haben, ohne jetzt per se am Ende meiner Differenzialdiagnostik angekommen zu sein, kann es natürlich sein, dass ich ihm eventuell zu viel gebe, wenn ich jetzt nach akuter Pankreatitis behandle. Mit wie viel Volumen pro Stunde bin ich denn noch ganz gut gefahren für den Anfang, was auch in allen anderen Fällen jetzt keinen Fehler darstellt? Natürlich muss ich bedenken: Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz et cetera. Aber das mal beiseite gestellt: Mit wie viel Volumen pro Stunde kann ich denn standardmäßig anfangen?  

Mayerle: Grundsätzlich ist es natürlich so, dass Sie einen Patienten haben, der jetzt erst einmal Gefahr läuft, in einen Schock zu gehen oder aber schon in einem Schock ist. Das heißt, auch da ist das erste, was Sie machen, eine Bolusgabe mit Flüssigkeit. Das heißt, Sie hängen – genau wie in der Intensivmedizin – erstmal mindestens einen halben Liter bis einen Liter an und lassen den im Schuss reinlaufen. Und dann beschäftigen Sie sich etwas akademischer mit dieser Situation, denn dann ist ja sozusagen die Erstversorgung erfolgt. Und auch wenn jemand eine Herzinsuffizienz hat, wird er in dieser Situation das Volumen rasch brauchen und auch verstoffwechseln können. Anschließend ist es dann so, dass wir wissen: Das oberste Gebot ist, dass Sie monitorieren, welchen Effekt Ihre Flüssigkeitsgabe hat, und nicht einfach nur Flüssigkeit anhängen und dann sozusagen ins Bett gehen, schlafen und gucken, was am nächsten Tag passiert. Denn dann haben Sie Ihren Patienten ertränkt und brauchen sich nicht wundern, wenn er am nächsten Morgen mit einer Sättigung von 80 im Bett liegt und auf die Intensivstation muss. Wenn Sie sich die Frage stellen, wie viel Flüssigkeit Sie geben sollen, dann ist das, was aus den Studien bisher herausgekommen ist, letztendlich fünf bis maximal zehn Milliliter pro Kilogramm Körpergewicht. Das bedeutet, wenn Sie das für einen 80 Kilogramm schweren Patienten sehen, dass er ungefähr 500 bis 1.000 Milliliter pro Stunde kriegt, aber nur so lange, bis Sie entweder eine Herzfrequenz von 100 bis 120 haben, einen mittelarteriellen Druck von 60 bis 80 oder eine Urinausscheidung von 0,5 Milliliter pro Kilogramm Körpergewicht pro Stunde. Und dann gehen Sie auf eine Maintenance-Therapie über. Das heißt, Sie geben letztendlich das, was man so pro Tag an Flüssigkeit braucht, und das sind dann irgendwann so zwischen eineinhalb und drei Litern, je nachdem, wie schwer der Patient ist. Das heißt, Sie steuern ganz stark an den Vitalparametern. Wenn es ein Patient im Schock ist und Sie ihn also nicht mehr in der Notaufnahme behandeln, sondern auf eine Intensiv- oder Überwachungsstation legen, dann können Sie sich natürlich andere Hilfsmittel zunutze machen und nehmen nicht mehr rein die Herzfrequenz oder den Mitteldruck, sondern versuchen vielleicht auch einfach, über eine PiCCO-Pulsionsmessung, das heißt ELWI und ITBI, also den Widerstand, das Volumen zu steuern. Was sich als relativ unzuverlässig erwiesen hat, ist der ZVD. Das funktioniert nicht besonders gut. Das heißt, den sollten Sie nicht zur Hilfe nehmen, um zu steuern. Das ist mehr wie eine Münze werfen oder raten. Der pulmonalarterielle Druck über einen Pulmonalis-Katheter wird eher selten gemacht, geht wahrscheinlich aber besser. Aber letztendlich ist die Take Home Message: Initial müssen Sie sicherlich aggressiv hydrieren, aber nicht mehr als zehn Milliliter pro Kilogramm pro Stunde. Dann haben Sie ein negatives Outcome, auch wenn Sie länger brauchen, bis das Volumendefizit ausgeglichen ist. Und noch viel wichtiger ist, den klinischen Zustand des Patienten zu betrachten und dann wieder auf eine Maintenance-Therapie zu gehen.

AMBOSS: Ja, wunderbar, vielen Dank auch für die Zusammenfassung am Ende. Das heißt, die Vitalparameter reichen mir erst einmal als Kontrolle meiner Volumentherapie, so lange ich den Patienten nicht auf die Intensivstation verlegt habe, wenn das überhaupt der Fall sein sollte – darauf kommen wir vielleicht später nochmal zu sprechen. Dann kommen wir zum zweiten Punkt der Akuttherapie, die ich ja auch direkt am Anfang einführe, weil, Sie haben es gesagt: Dieser Patient ist stark schmerzgeplagt, der braucht aller Wahrscheinlichkeit nach Opiate. Und da gibt's ja nun Nebenwirkungen bei Opiaten wie den Spasmus des Sphinkter Oddi, weswegen man da vorsichtig ist. Wie sieht da die Studienlage aus? Oder ist das eine Komplikation, die doch vernachlässigbar ist, wenn man sich das große Ganze anguckt?

Mayerle: Der Sphinkterspasmus ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein Mythos. Wenn man Sphinktermessungen unter Opiattherapie macht, dann schwanken die so sehr, dass man eigentlich keinen Spasmus sieht. Das Entscheidende, was Sie für den Patienten erreichen wollen, ist Schmerzfreiheit und dafür nehmen Sie ein potentes Analgetikum – und das sind Opiate. Der Nachteil der Opiate ist die Darmträgheit und Sie haben durch den Peritonismus natürlich sowieso das Problem eines Subileus, den wollen Sie verhindern. Und dann ist die Frage: Wie können Sie den verhindern? Da ist eine Möglichkeit zum Beispiel eine Periduralanästhesie. Damit schlagen Sie zwei Fliegen mit einer Klappe: Das heißt, zum einen erhöhen Sie die Perfusion im Splanchnikus-Gebiet und damit die Zirkulation im Dünndarm und verhindern sozusagen einen Subileus oder lleus aufgrund der Peritonitis. Und Sie haben eine sehr effiziente Schmerztherapie, haben aber natürlich das Problem, dass es gegebenenfalls, wenn es zu einer Infektion – und nicht mehr zu einer sterilen Inflammation wie sicherlich in der Frühphase der Pankreatitis, sondern später – kommen kann, zu einer infektiösen Komplikation der Periduralanästhesie kommen kann. Und da sind die Anästhesisten dann immer etwas vorsichtig. Und Sie haben natürlich auch das Problem: Sie wollen eine PDA nur anlegen, solange der Patient wach ist. Das heißt, wenn er intubiert und beatmet ist und Sie die Sensibilität nicht mehr so gut prüfen können, ist der Anästhesist sehr vorsichtig, das Ganze anzulegen. Und häufig tritt natürlich auch in einem septischen Verlauf eine Gerinnungsstörung auf, also eine intravasale, eine DIC, die dann auch eine Kontraindikation darstellt, oder eine Thrombozytopenie. Aber gerade in der Frühphase können Sie wahrscheinlich, wenn Sie einen schweren Verlauf prognostizieren und die Schmerzen sehr ausgeprägt sind, ein sehr positives Therapieergebnis über eine peridurale Analgesie erreichen. 

AMBOSS: Dann steige ich doch da mal direkt ein, weil Sie gesagt haben: "Wenn ich einen schweren Verlauf prognostiziere." Das ist ja auch noch so ein Punkt, den ich mir, wenn ich den Patienten stabilisiert habe, durch den Kopf gehen lassen muss. Die Prognosen einer akuten Pankreatitis sind ja extrem unterschiedlich, je nachdem, ob ich es eben mit einer schweren nekrotisierenden oder nur leicht ödematösen Pankreatitis zu tun habe. Das reicht von 1 Prozent Letalität bis zu 15 Prozent, nach manchen Studien auch mehr. Wie nähere ich mich denn dieser Prognoseeinschätzung? Da gibt's ja verschiedenste Scores. Was ist jetzt der aktuelle Stand? Welchen Score kann ich zu Rate ziehen oder sind das vielleicht sogar simple Laborparameter, die mir die beste Vorhersage ermöglichen?  

Mayerle: Letztendlich ist, glaube ich, das Entscheidende, dass Sie Ihren Patienten betrachten. Und es ist relativ klar, dass das Alter einen erheblichen Einfluss auf den Schweregrad hat, weil jemand, der alt ist und eine Komorbidität hat, auch mit einer milden Pankreatitis allein durch die Flüssigkeitsverschiebungen stärker gefährdet ist, ein Organversagen zu entwickeln. Die Komorbidität, das heißt, chronische Lebererkrankungen, chronische Niereninsuffizienz, chronische Herzinsuffizienz, die sicherlich jetzt ganz unabhängig von der Pankreatitis eine Auswirkung auf den Verlauf hat, ist etwas, das Sie in der Notaufnahme über die Anamnese beziehungsweise einfach nur über die Betrachtung des Patienten sehen. Und das dritte ist natürlich auch der BMI. Es ist relativ gut belegt, dass Patienten, die übergewichtig oder adipös sind, einen schwereren Verlauf nehmen, vor allem auch, weil das viszerale Fettgewebe ein inflammatorisches Organ ist und es zu einem deutlich ausgeprägteren SIRS kommt. Das sind sozusagen die Risikofaktoren, die Sie betrachten. Dann nehmen Sie eine Risikostratifizierung vor. Und die Risikostratifizierung können Sie vornehmen über das SIRS. Das heißt: Wie ausgeprägt ist das SIRS? Das ist eigentlich auch nicht pankreatitisspezifisch. Aber wir wissen, dass ein prolongiertes SIRS über 48 Stunden einer der besten Risikofaktoren ist, weil es letztendlich in Organversagen mündet. Es gibt dann Scores wie den BISAP-Score oder den HAP-Score, den "Harmless Acute Pancreatitis Score", oder auch den Apache-Score, die man berechnen kann, die aber in meiner Wahrnehmung eigentlich in der klinischen Routine den geringsten Einfluss für das Management haben. Damit kann ich dokumentieren und das ist vielleicht für den Studieneinschluss ganz relevant, wenn ich stratifizieren möchte. Aber ich glaube, das, was wir alle am besten kennen und nutzen, ist das SIRS. Und das hilft dann bei einer Pankreatitis eigentlich schon relativ gut. Wenn ich ein ausgeprägtes SIRS habe, sollte ich darüber nachdenken, den Patienten auf eine Überwachungs- oder Intensivstation zu verlegen. Und dann habe ich natürlich das nächste, nämlich die Frage des Therapie-Monitorings, denn dann sehe ich ja, ob der Patient sich unter meinen Therapien verbessert. Da ist es natürlich auch wieder das SIRS, denn eine ausreichende Volumentherapie sollte einen Einfluss auf den Blutdruck und natürlich auch die Herzfrequenz und Faktoren, die in dem Systemic Inflammatory Response Syndrome einfach abgebildet sind, haben. Das Gleiche gilt für den Harnstoff, sozusagen als Parameter für die Niereninsuffizienz, einem der häufigsten Organversagen. Das heißt, der Harnstoff, das CRP und das Kreatinin sind letztendlich das, was Ihnen an Einzelparametern hilft, um eine Risikoeinschätzung bzw. Therapie-Monitoring zu betreiben. Auch das Calcium wird immer wieder genannt als Stand-alone-Parameter. Das ist sicherlich niedrig, wenn Sie einen schweren Verlauf haben. Ob Sie daran als Einzelparameter etwas festmachen würden, weiß ich nicht so ganz genau.  

AMBOSS: Das sind doch eigentlich ganz gute Nachrichten, dass man sich an den SIRS-Kriterien entlanghangeln kann, um das einzuschätzen. Gehen wir nochmal zurück zu den Ursachen. Sie haben es ja gesagt: Durch die Sonografie betreibe ich nicht nur eine Diagnostik im Sinne von: Ist das Pankreas vielleicht ödematös verquollen? Das muss schon auch ein sehr versierter Ultraschaller sein, würde ich jetzt hier behaupten. Sondern eben auch: Ich gucke mir gleich die Gallenblase an, um vielleicht direkt zu sehen, könnte es biliär sein versus – die zweithäufigste Ursache – alkoholtoxisch. Sie haben schon gesagt, wenn ich jetzt Steine gesehen habe, dann sollte ich mich weiter darum kümmern, um zu gucken, ob auch der Gallengang vielleicht entzündet oder betroffen ist, um eben so schnell wie möglich eine ERCP anzuschließen. Vielleicht können Sie nochmal sagen, was ich da für ein Zeitfenster habe. Gerade jetzt in Bezug auf unseren Fall, wo die Patientin am Abend eingetroffen ist und sich die Frage stellt: Muss ich sie verlegen oder die Oberärztin reinholen, zur ERCP, sofort? Oder hat das noch Zeit? Wie sind da die Konstellationen?

Mayerle: Ich glaube, wir müssen unterscheiden, ob wir die ERCP durchführen, weil wir glauben, es besteht eine Cholangitis, also durch die Obstruktion eines Gallensteins ist es zu einer Gallengangsentzündung gekommen? Die Cholangitis ist ein septischer Notfall, da sollten wir natürlich eine sofortige ERCP mit EPT durchführen. Das bedeutet innerhalb der nächsten 24 Stunden. Also, nachts um 2 Uhr gibt's eigentlich selten eine Indikation, um irgendwelche Gallensteine auszuräumen. Die nächste Frage ist: Führen wir die ERCP durch, weil wir vermuten, dass noch eine Obstruktion vorliegt, also eine Choledocholithiasis ohne Cholangitis? Da ist es so, dass wir wissen, dass innerhalb von 48 Stunden die Steine meist spontan abgehen. Und es gibt keine guten Daten, die zeigen, dass sozusagen das direkte Entfernen des Steins dann auch wirklich zu einem milderen Verlauf der Pankreatitis führt. Die nächste Frage, die sich dann stellt: Was wäre denn eine frühelektive ERCP? Und da gab's bis vorletztes Jahr – und das ist sicherlich eine Neuerung in der Leitlinie – nennen wir es mal konkurrierende Daten, weil sehr unterschiedliche Kollektive untersucht worden sind, wann man diese ERCP durchführen soll. Und danach gab es den sogenannten APEC-Trial aus Holland, eine Studie, die Patienten randomisiert hat, die mit einem “predicted severe acute biliar pancreatitis” ins Krankenhaus kamen. Das heißt, es waren Patienten, von denen man davon ausgegangen ist, dass sie einen schweren Verlauf nehmen. Und das hat man festgemacht am CRP und den SIRS-Kriterien. Man hat alle die ausgeschlossen, von denen man geglaubt hat, dass sie sicher eine Cholangitis haben, und hat die, die nur einen schweren Verlauf haben, randomisiert in eine ERCP-Gruppe innerhalb von 24 Stunden oder keine ERCP. Und das, was dabei rausgekommen ist, ist, dass es für den Verlauf der Pankreatitis und die Mortalität keinen wirklichen Unterschied gab für eine ERCP innerhalb der 24 Stunden, aber dass die Patienten, die innerhalb von 24 Stunden ERCPiert worden sind, häufiger auf die Intensivstation aufgenommen worden sind und auch häufiger respiratorische Komplikationen entwickelt haben. Ob das nun direkt infolge sozusagen der frühen ERCP im Rahmen eines Subilius passiert ist und die dann irgendwie aspiriert haben oder ob die einfach durch die Sedierung per se Kreislaufkomplikationen entwickelt haben, die dann dazu geführt haben, dass sie aufgenommen worden sind, ist nicht klar, geht auch aus der Publikation nicht gut hervor. Man kann sagen, die Mortalität in beiden Gruppen ist nicht unterschiedlich. Aber was man auch sagen muss, ist, dass die, die nicht initial ERCPiert worden sind, häufiger im Verlauf dann nochmal bei Verdacht auf Cholangitis ERCPiert worden sind, man aber keine Galle aspiriert hat. Das heißt, dass man auch jetzt nicht sagen kann, ob der Grund eine Cholangitis war. Was ich für mich persönlich aus der Studie ableite, ist, dass eine frühe ERCP bei “predicted severe acute biliar pancreatitis” eigentlich nicht indiziert ist. Das heißt für Sie in der Notaufnahme als junge Assistenzärztin: Sie müssen, wenn Sie nicht den dringenden Verdacht auf eine Cholangitis haben, nicht am Samstagabend um 17 Uhr Ihren Oberarzt dazu zwingen, innerhalb der nächsten 24 Stunden eine ERCP durchzuführen, sondern Sie können den Verlauf abwarten. Und das ist wahrscheinlich für den Patienten besser. 

AMBOSS: Das ist interessant und wir würden dann einfach nochmal im Verlauf sonografisch kontrollieren, um zu gucken, ob sich eventuell die Steine selber, wie Sie gesagt haben, gelöst haben.  

Mayerle: Die schwierige Frage ist: Wann glauben Sie denn, dass da noch ein Stein hängt, beziehungsweise wann sind Sie denn sicher, dass ein Cholestase-Labor, das Sie sehen, bedingt ist durch eine fortbestehende Obstruktion? Und wann glauben Sie, dass das ein bereits angeschwollener Pankreaskopf ist, der sekundär zu einer Obstruktion geführt hat, den Sie dann auch nie besser machen können, wenn Sie ERCPieren? Und ich glaube, das ist eigentlich die klinisch schwierigste Frage, die man sich in der Notaufnahme stellen muss. Und in meiner Erfahrung kriegen Sie das nur raus über eine gute Anamnese. Denn wenn jemand eine biliäre Pankreatitis hat mit einem Stein, dann wird er Ihnen in aller Regel berichten, dass er acholischen Stuhl hatte zu irgendeinem Zeitpunkt, dass der Schmerzbeginn mit einem acholischen Stuhl einhergegangen ist und er dann auch Fieber entwickelt hat. Während, wenn das sekundär aufgetreten ist, ja erst die Schmerzen kommen, dann schwillt der Pankreaskopf an – und ob dann irgendwann acholischer oder eher hellerer Stuhl auftritt, das ist dann deutlich verzögert im zeitlichen Ablauf. Und ich glaube, das ist das einzige, was Ihnen wirklich hilft. Und auch die Frage "Cholangitis" ist letztendlich: Habe ich Schmerzen gekriegt, die kolikartig waren, vor diesen gürtelförmigen Schmerzen, und habe ich dann Fieber entwickelt? Dann muss ich davon ausgehen, dass das eine Cholangitis ist und nicht Fieber im Rahmen eines SIRS. Ob Sie das immer trennscharf auseinanderhalten können, ist, glaube ich, schwierig und letztendlich wirklich das, was eine gute Anamnese und viel klinische Erfahrung ausmacht – und wahrscheinlich zu den schwierigsten Entscheidungen von einem Gastroenterologen in der Notaufnahme gehört.  

AMBOSS: Das kann ich mir vorstellen. Hier nochmal der Appell auf jeden Fall, die Anamnese nicht zu kurz zu halten und nicht gleich zu den apparativen diagnostischen Methoden zu greifen oder sich nur das Labor anzugucken. Ja, fand ich sehr wichtig.

Mayerle: Wenn Sie wirklich feststellen wollen, ob da noch ein Stein steckt, dann ist, glaube ich, die Maßgabe, dass sie ein Endosono in ERCP-Bereitschaft machen. Denn wichtig ist dann, dass Sie nicht doppelt sedieren bei einem Patienten, der sicherlich in einer vulnerablen Phase ist. Und wenn Sie im Endosono sehen, da steckt noch ein großes Konkrement, dann müssen Sie das auch direkt rausholen.  

AMBOSS: Eine andere Komplikation, die ja auftreten kann und sehr gefürchtet ist, sind Pankreasnekrosen, auch weil sie sich infizieren können. Da ist ja die bildgebende Diagnostik CT eigentlich der Goldstandard, um diese zu entdecken. Wie früh würde ich denn aber im Verlauf oder in meinem Behandlungsplan dieses Patienten überhaupt das CT anstreben?  

Mayerle: Letztendlich würden Sie ja immer eine Bildgebung anstreben, wenn sie bereit sind, daraus eine klinische Konsequenz zu ziehen. Und die Frage ist: Welche klinische Konsequenz würden Sie aus einem CT in der Frühphase ziehen? Und letztendlich ist es keine, weil: Was wollen Sie machen? Sie können nicht drainieren, Sie können die Perfusion nicht wiederherstellen, das heißt, es würde sich an Ihrem konservativen Management nichts ändern. Und die einzige Frage, und dafür gibt's eigentlich keine guten Daten, ist: Wenn Sie eine sehr, sehr ausgedehnte Nekrose haben, würden Sie dann frühzeitig eine Antibiotikatherapie anstreben? Das ist etwas, was noch nicht hundertprozentig geklärt ist, wo man aber momentan eher empfehlen würde, keine Antibiose zu geben. Sodass es also keinen Grund gibt, in der Frühphase – außer um eine andere Differenzialdiagnose auszuschließen – ein CT zu machen. Sie haben auch das Problem, dass Ihnen nur ein Kontrastmittel-CT etwas bringt. Es ist immer die Frage, inwieweit das Kontrastmittel bei einem drohenden Nierenversagen gegebenenfalls die Nierenfunktion verschlechtern könnte. Das tut es wahrscheinlich nicht in dem Ausmaß, wie man lange angenommen hat, aber trotzdem ist es so, dass das CT in der Frühphase Ihnen keinen wirklichen Mehrwert bringt. Es ist sogar so, wenn man Patientenkohorten betrachtet, die in der Frühphase ein CT erhalten haben, dass diese Patienten, weil wir Angst vor den Bildern haben, eine längere Krankenhausverweildauer haben als die Patienten, die keine CT bekommen haben, die nach einem Kostaufbau beziehungsweise ohne Nahrungskarenz einfach relativ schnell entlassbar sind. Wenn Sie einen guten Parameter haben wollen, um vorherzusagen, ob wahrscheinlich eine nekrotisierende Pankreatitis vorliegt, dann ist es letztendlich das CRP. Und da ist es so, dass ein Anstieg innerhalb der ersten 48 Stunden nach Schmerzbeginn über ein CRP von 13 mg/dL oder 130 mg/L mit einer 85-prozentigen Sensitivität – und einer geringeren Spezifität logischerweise, weil das ja ein sehr unspezifischer Parameter ist – auf eine nekrotisierende Pankreatitis hindeutet.

AMBOSS: Alles klar. Das heißt, auch hier kann ich erst mal noch die Füße stillhalten, was das CT angeht, und beobachte einfach weiter meine Parameter und den Patienten im Verlauf.

Mayerle: Wenn Sie eine klinische Verschlechterung sehen, auf jeden Fall, weil Sie dann natürlich im Verlauf zum Beispiel transabdominell drainieren wollen, wenn Sie in einer frühen Phase sind und ein septisches Krankheitsbild haben, was Sie nicht anders kontrolliert kriegen, oder aber dann endoskopisch drainieren wollen, wenn Sie bereits eine Kapsel haben, das heißt, es im späteren Verlauf ist. Aber da wollen Sie dann eine Bildgebung haben. Sie sollten auch ein CT machen, wenn Sie keine Ursache der Pankreatitis eruieren können und der Patient entlassen wird, ungefähr vier Wochen nach Ausheilen der Pankreatitis, um ein Pankreaskarzinom als Ursache nicht zu übersehen, weil das in ungefähr 1 Prozent der Fälle, wo sie keine klare Ursache finden, ursächlich sein kann. 

AMBOSS: Wo Sie gerade die Ursachen ansprechen: Wie ist denn da mittlerweile der Konsens? Noch zu meinen Zeiten in der Uni war das ziemlich binär, sagen wir mal. Also entweder biliär oder alkoholtoxisch und der Rest, na ja, vielleicht mal ein Medikament. Das war eher so eine Ausschluss- oder Verlegenheitsdiagnose – oder idiopathisch. Aber wie sehr ist es denn wirklich so klar abgrenzbar? Und wie sehr ist es vielleicht doch multifaktoriell? Bin ich mir da am Ende wirklich immer sicher, dass es diese eine Sache war und nicht vielleicht doch etwas anderes oder eine Kombination?

Mayerle: Sagen wir mal so: Ich versuche, die Ätiologie zu klären. Die binäre Herangehensweise ist primär mal eine, die, glaub ich, für über 80 Prozent der Fälle korrekt ist. Das heißt, es sind – je nachdem, ob Sie Frauen oder Männer betrachten – ungefähr halbe-halbe für biliär und alkoholisch. Und dann haben Sie ungefähr 20 Prozent, die wir jetzt mal primär als idiopathisch betrachten. Und bei denen ist es so, dass, wenn Sie eine Endosonografie durchführen, Sie in etwa 50 Prozent der Fälle entweder eine Mikrolithiasis oder Sludge finden, wobei ganz schwierig zu sagen ist, ob Sludge wirklich eine Pankreatitis auslösen kann. Aber Sie finden's mal. Und da wir auch Mikrolithiasis und Sludge nur sehr unscharf definiert haben, ist es schwierig, da die Kausalität zu klären. Aber damit können Sie nochmal von diesen 20 Prozent “Idiopathen”, sagen wir mal, die Hälfte in die biliäre Schublade schieben; dann bleiben Ihnen noch 10 Prozent übrig. Und da ist es dann ein bisschen so, dass Sie überlegen müssen: Wie alt ist der Patient? Wenn das eher ein junger Patient unter dem Alter von 35 ist und Sie keine Ursache finden, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie eine genetische Ursache haben oder zumindest einen genetischen Suszeptibilitätsfaktor, sehr hoch. Da können Sie dann überlegen, ob Sie, gerade wenn es ein zweiter Schub ist, vielleicht doch eine genetische Diagnostik anschließen oder es zumindest dem Patienten anbieten. Ansonsten darf man gerade bei Kindern auch nicht unterschätzen, dass natürlich Virusinfektionen relativ häufig zu einer zumindest milden Pankreatitis führen, und dann das, was von Ihnen ja schon angeführt worden ist: die Medikamente. Und wenn Sie das andere Altersspektrum betrachten, also die sehr alten Patienten, dann darf man nicht unterschätzen, dass die – ich nenne es jetzt mal so – "Volkskrankheit" der intraduktalen papillär-muzinösen Neoplasien durchaus relativ häufig auch mal eine Pankreatitis als Symptom auslösen kann, weil es einfach durch die Eindickung des Sekrets zum Abfluss kommt. Und dann haben Sie da durchaus auch einen gar nicht ganz geringen Anteil der Patienten, die dadurch eine Pankreatitis bekommen. Das heißt, Sie müssen da ein bisschen altersspezifisch abwägen: Was ist wahrscheinlich und was könnte noch eine Ursache sein?

AMBOSS: Also lohnt es sich schon, wenn ich mich nicht für biliär oder alkoholtoxisch entschieden habe, im Verlauf auf jeden Fall noch weitere Ursachenforschung zu betreiben, weil ich eventuell doch etwas Schwerwiegendes verpassen könnte.

Mayerle: So würde ich das auf jeden Fall sehen.

AMBOSS: Sie haben ja auch vor zwei Antworten ein Stichwort gegeben, nämlich die Nahrungszufuhr. Da war ja auch ganz lange der Rat, Nahrungskarenz zu betreiben, aber mittlerweile ist man doch dazu übergegangen zu raten, so früh wie möglich mit einem vorsichtigen Kostaufbau zu beginnen. Wie ist da die Empfehlung jetzt in der neuen Leitlinie?  

Mayerle: Das ist eigentlich sogar noch viel extremer. Eigentlich gibt es die Empfehlung, keine Nahrungskarenz mehr auszusprechen. Das heißt, wenn der Patient reinkommt und er möchte gerne essen, dann lassen Sie ihn einfach weiter essen und zwar leichte Vollkost. Also, Sie müssen da nicht irgendwelche Schondiäten oder Schonkost anordnen, sondern Sie lassen ihn einfach weiter essen. Grund dafür ist, dass Sie dadurch wahrscheinlich die Translokation von Bakterien verhindern. Das heißt, wir sehen ganz klar, dass die Patienten bei einer milden Pankreatitis einfach weiter essen können. Bei einer schweren Pankreatitis kann es sein, dass der Patient, weil er intubiert ist, de facto nicht essen kann. Dann stellt sich die Frage, wie Sie ihm eine orale oder enterale Ernährung zuführen. Und da ist es so, dass wir natürlich bei einer schweren Pankreatitis im ersten Moment – auch wenn die Empfehlung da ist, ihn so schnell wie möglich zu ernähren – den Schock behandeln müssen. Und stellen Sie sich vor, Sie haben ein Lactat und sind eigentlich sozusagen in einem manifesten Kreislaufschock, dann wird eine enterale Ernährung, die Sie zusätzlich nehmen, einfach nicht verstoffwechselt werden, sondern eher zu einer extremen Belastung der Leber führen beziehungsweise zu einer Verfettung. Das heißt, Sie müssen erst das Lactat ausgleichen, und wenn das Lactat ausgeglichen ist, dann können Sie anfangen, ihn zu ernähren. Das zweite Problem, das Sie natürlich haben, haben wir vorhin schon mal besprochen, das ist der Subilius. Das heißt, Sie müssen sicherstellen, dass die Nahrung, die Sie zuführen, auch weitertransportiert wird. Wenn Sie enteral ernähren, sollten Sie aspirieren, also wenn Sie über eine Sonde Nahrung geben, sollten Sie gucken: Wie viel bleibt im Magen pro Stunde und wie viel kann ich zuführen? Und dann versuchen, langsam zu steigern, bis Sie den Kalorien-Intake über die enterale Ernährung decken können. Wenn Ihnen das nicht gelingt, dann sollten Sie auf keinen Fall Ihren Patienten in den katabolen Metabolismus treiben, sondern ihn dann zusätzlich parenteral ernähren. Aber wenn Sie das jetzt rein aus der Sicht der Bauchspeicheldrüse betrachten, dann war ja der Grund, warum man früher gesagt hat, man sollte den Patienten nicht enteral ernähren, dass man verhindern wollte, dass vermehrt Pankreassekret produziert wird und es dann zu einer fortschreitenden Selbstverdauung der Drüse kommt. Und das ist pathophysiologisch eine komplett falsche Hypothese, denn es ist ganz klar, dass in der Situation, wo wir eine ausgeprägte Entzündung haben, sowieso kein Pankreassekret mehr produziert oder koordiniert ausgeschieden wird. Das heißt, es macht wahrscheinlich sogar Sinn, dem Patienten in dieser Situation, auch wenn das in wenigen Studien untersucht worden ist, Enzyme zu supplementieren, damit er das, was er eigentlich aufnimmt, auch ausreichend verstoffwechseln kann. Also: Die Drüse macht sowieso nichts, da kann ich die Hormone auch ausschütten lassen, die sozusagen durch die Nahrungsaufnahme synthetisiert und sezerniert werden sollen.

AMBOSS: Das ist ja so die Annahme und das Schöne eigentlich an der Drüse, dass wir annehmen, dass sie sich von solchen akuten Schüben gut erholen kann. Oder gibt's da auch neue Erkenntnisse? Kann man auch davon ausgehen, dass ein paar Prozent doch einen leichten chronischen Schaden davontragen und damit rechnen müssen, immer erneute rezidivierende Schübe einer Pankreatitis zu erleben?

Mayerle: Wir wissen, dass ungefähr 20 Prozent der Patienten, die einen ersten Schub einer Pankreatitis erleiden, eine chronifizierte Form entwickeln. Dabei ist die Ätiologie gar nicht so entscheidend. Also, Sie können natürlich sagen, wenn Sie eine biliäre Pankreatitis haben und die Gallenblase dann entfernen und sicherstellen, dass sich keine neuen Gallensteine entwickeln, dann sollte sich natürlich keine chronisch biliäre Pankreatitis entwickeln können. Das heißt, für die biliäre Pankreatitis ist die Wahrscheinlichkeit geringer als für die alkoholinduzierte. Aber grundsätzlich ist der Prädiktor, ob es zu einer Chronifizierung kommt, der Schweregrad. Das heißt, je schwerer der erste Schub war, umso wahrscheinlicher ist es, dass es chronisch ist. Und ein weiterer, ganz wesentlicher Risikofaktor ist das Rauchen. Das heißt, Patienten, die rauchen, entwickeln häufiger eine chronische Pankreatitis nach einem ersten Schub. Und das Rauchen per se ist auch ein unabhängiger Risikofaktor für die Entwicklung einer chronischen Pankreatitis.

AMBOSS: Das heißt, da bin ich als Ärztin auch angehalten, zum Behandlungsende dem Patienten oder der Patientin das mitzugeben, auch auf diese Gewohnheiten zu achten oder sie eben möglichst einzuschränken, wenn weitere Schübe erspart bleiben sollten.  

Mayerle: Das ist ganz sicher so und ist wahrscheinlich noch wichtiger in puncto Toxizität als der Alkohol.

AMBOSS: Ich versuche es mal ein bisschen zusammenzufassen, was wir uns für die Rettungstellensituation gemerkt haben – und korrigieren Sie mich bitte, wenn ich das jetzt falsch rekapituliere – nur ganz, ganz grob und schnell: dass ich natürlich erstmal eine ausführliche Anamnese mache, dann mit meiner Diagnostik starte, der Untersuchung und dem Labor natürlich, da schon auch in den Laborparametern eben Cholestaseparameter bestimmen lasse, um zur Ursachenfindung zu kommen, den Patienten als Nächstes unbedingt stabilisiere und mich dann in Ruhe an die Ursachenfindung mache und an eine Einschätzung des Schweregrads oder einer Prognose des Schweregrads, um dann eben zu entscheiden: Kann ich ihn auf Normalstation belassen oder auf der Intensivstation behandeln? Gibt es auch Fälle oder eben Krankenhäuser, wo Sie sagen würden: “Ich müsste vielleicht hier sogar eine Verlegung in ein spezialisiertes Zentrum überlegen?” Was sollte das Krankenhaus vorhalten, dass ich wirklich hier auch ruhigen Gewissens meinen Patienten auf der Intensivstation belassen kann? 

Mayerle: Grundsätzlich ist es so, dass die Pankreatitis eine komplexe Erkrankung ist, die auch mehr bedarf als nur des Gastroenterologen. Und insofern sollte ein Patient mit einer schweren Pankreatitis in ein Zentrum verlegt werden, das mehr als 120 Pankreatitiden pro Jahr behandelt. Da gibt's ganz gute Daten aus Amerika, dass auch für eine benigne Erkrankung der Case Load eine wesentliche Rolle für die Mortalität spielt. Die gleichen Daten gibt's auch aus England. Das zweite ist: Es sollte eine interventionelle Endoskopie vorgehalten werden, die ermöglicht, transgastrisch oder transduodenal eine infizierte Nekrose auszuräumen. Da ist also gezeigt worden: Je minimalinvasiver der Zugangsweg – und das ist transgastrisch oder transabdominell-radiologisch – umso besser das Outcome und umso niedriger dann die Mortalität, wenn sich Komplikationen entwickeln. Außerdem brauchen Sie Ihren Radiologen, zum Beispiel, wenn sich Pseudoaneurysmata oder Blutungen entwickeln. Das heißt, Sie brauchen einen interventionellen Radiologen, der Sie da unterstützt. Und Sie brauchen natürlich auch einen in der Pankreaschirurgie erfahrenen Chirurgen, denn letztendlich kann es durchaus auch passieren, dass der Patient ein intraabdominelles Kompartmentsyndrom entwickelt und der Bauchdruck so hoch wird, dass sie schlicht und ergreifend den Bauch aufmachen müssen. Es kann auch einfach zu konservativ nicht mehr beherrschbaren Komplikationen kommen. Auch dann brauchen Sie einen Chirurgen, der das nicht zum ersten Mal macht. Und damit sind Sie natürlich auch in der Situation, wo Sie sagen, Sie brauchen einen exzellenten Intensivmediziner, der Sie unterstützt. Das sind wir Gastroenterologen häufig auch. Aber wir sollten uns da durchaus helfen lassen. Das kann auch gerne der Internist sein. Das ist auch häufig der Internist. Das kann aber auch in anderen Häusern der Anästhesist sein, der da auch sehr hilfreich sein kann. 

AMBOSS: Zum Abschluss: Was würden Sie Assistenzärzt:innen mitgeben zu diesem Krankheitsbild, wo Sie als Ärztin in Ihrer langen Laufbahn schon mitbekommen haben, da hapert es irgendwie immer wieder, oder das bedarf gar nicht immer der Rücksprache und da würde ich mir früher eine Handlung wünschen? Vielleicht gibt's da irgendetwas, das Sie uns mitgeben wollen?

Mayerle: Ich glaube schon, dass das, was man in der Notaufnahme relativ häufig macht, das CT ist. Da muss man sich wirklich überlegen, ob man das braucht. Das zweite ist, dass die frühe Stabilisierung, das heißt die Volumentherapie und die Sauerstoffvorlage, die ja wirklich sehr einfach sind, häufig zu zögerlich erfolgen. Und da sieht man in der klinischen Routine schon, wenn der mal seinen Liter Ringer drin hat, dann geht es dem einfach schon deutlich besser. Das ist vielleicht auch noch etwas: Ringer ist deutlich besser als Kochsalz. Das ist also protektiv für ein SIRS und einen CRP-Anstieg. Daher sollte das die Elektrolytlösung sein, die Sie geben. Kolloidlösungen brauchen Sie selten und diese sind, aus der Sepsistherapie bekannt, auch eher mit einem akuten Nierenschaden vergesellschaftet. Das ist, glaube ich, relativ wichtig. Und dann, was wir, glaub ich, noch nicht so richtig besprochen haben, ist: Eine prophylaktische Antibiotikatherapie ist nach heutigem Stand nicht indiziert. Aber man sollte natürlich im Verlauf, wenn man merkt, es kommt nochmal zum Anstieg der Entzündungsparameter, relativ großzügig damit umgehen und sich auch bewusst machen, dass in dieser Situation eine Antibiotikatherapie auch ein sinnvolles Therapiekonzept ist. Das heißt: Im Verlauf mit Antibiotika behandeln, auch gucken, ob sich der Patient darunter stabilisiert. Damit können Sie lange Zeit einen Patienten häufig stabil halten und in ein Zeitfenster kommen, wo Sie dann interventionell, sei es endoskopisch oder radiologisch, therapieren können. Und das ist, glaube ich, sehr hilfreich. Ich glaube, wenn man es ganz kurz nochmal zusammenfasst zu dieser relativ komplexen Frage der ERCP: Also, eine ERCP bei biliärer Pankreatitis sollte zur Therapie einer Cholangitis erfolgen, eher nicht bei schwer verlaufender Pankreatitis und sicher nicht bei milder Pankreatitis. Und da, glaube ich, rufen die Kollegen relativ häufig an und sagen: “Ich habe hier einen Patienten mit biliärer Pankreatitis, kommt mal einer zum ERCPieren?” Das müssen wir, glaube ich, seltener machen.

 

Prof. Dr. med. Julia Mayerle leitet die Medizinische Klinik II mit dem Lehrstuhl für Gastroenterologie und Hepatologie an der LMU München und war als Koordinatorin federführend an der neuen DGVS-Leitlinie “Pankreatitis” beteiligt. 

 

Empfehlungen zu Diagnostik und Therapie einer entzündeten Bauchspeicheldrüse lassen sich auch in den AMBOSS-Kapiteln Akute Pankreatitis und Chronische Pankreatitis nachlesen.

Hinweis: Dieses Transkript gibt die Podcast-Folge, die wir am 17. August 2021 aufgezeichnet haben, im Wortlaut wieder. Sprachliche Ungenauigkeiten und inkonsistente Genderformen bitten wir zu entschuldigen.

 

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