Thoraxschmerz in der hausärztlichen Versorgung

Rosa Bartel - Mittwoch, 23.12.2020
Röntgenbild eines Thorax

Täglich gesehen und täglich entschieden: Thoraxschmerz als differentialdiagnostische Herausforderung und klinische Hilfsmittel.

In der Primärmedizin sind Thoraxschmerzen ein häufiger Beratungsanlass. In der allgemeinmedizinischen Praxis gilt es, den medizinischen Notfall von weniger kritischen Krankheitsbildern zu unterscheiden. 

Die Differentialdiagnosen reichen von muskuloskelettalen Schmerzen (20,6% aller Patient:innen mit Thoraxschmerzen) über psychosomatische Beschwerden (17,1%, siehe: Klinische Entscheidungshilfen zu funktionellen Körperbeschwerden) bis hin zum Ernstfall des akuten Koronarsyndroms. 

Statistisch gesehen liegt nur bei 4,8% der Patient:innen eine schwerwiegende kardiovaskuläre Erkrankung vor, die ein sofortiges ärztliches Eingreifen erfordert. Meist handelt es sich dabei um ein akutes Koronarsyndrom, seltener um eine Lungenembolie oder ein (teil-)rupturiertes Aortenaneurysma. 

In ihrem Übersichtsartikel “Thoraxschmerzen – hausärztliches Dilemma zwischen Fehl- und Überdiagnostik” thematisieren A. C. Sönnichsen und N. Donner-Banzhoff den Umgang mit der unvermeidlichen diagnostischen Unsicherheit in der Praxis.  Eine gezielte Anamnese mit Augenmerk auf die Red Flags bei Thoraxschmerz und eine ausführliche körperliche Untersuchung helfen in vielen Fällen, die medizinischen Notfälle herauszufiltern. 

Stefan Bösner gehört ebenso wie Sönnichsen und Donner-Banzhoff zur Abteilung für Allgemeinmedizin, Präventive und Rehabilitative Medizin der Universität Marburg. Bösner et al. entwickelten und validierten bereits 2010 mit dem Marburger Herz-Score eine einfache Instrument, um bei Thoraxschmerz in der hausärztlichen Versorgung die Wahrscheinlichkeit einer zugrunde liegenden stenosierenden KHK einschätzen zu können.

Der Marburger Herz-Score basiert auf nur 5 Kriterien: Alter und Geschlecht, Beschwerdeprogredienz bei Belastung, vaskuläre Vorerkrankungen und die Reproduzierbarkeit des Schmerzes durch Palpation. Für jedes Kriterium werden jeweils Punkte vergeben. Besonders hierbei: Das fünfte Kriterium ist die subjektive Vermutung der Patient:innen, dass der Schmerz eine kardiale Ursache hat. Somit wurde eine subjektive Empfindung in einen klinischen Score miteinbezogen und in ihrer Aussagekraft validiert.

Dabei soll der Marburger Herz-Score nicht den klinischen Blick von Hausärzt:innen ersetzen, sondern dazu beitragen, Überdiagnostik und unnötige Untersuchungen zu vermeiden. Insb. wenn die Befunde der Patient:innen auf akute und schwerwiegende Ursachen hinweisen, ist die Erfahrung der Untersuchenden unabdingbar. 

 

Weitere Informationen zu gelesenen Studien und relevanten AMBOSS-Inhalten: Thoraxschmerzen, Red Flags bei Thoraxschmerz, Marburger Herz-Score, Klinische Entscheidungshilfen zu funktionellen Körperbeschwerden, S3-Leitlinie Funktionelle Körperbeschwerden der DGPM

 

Quellen

  1. DOI: 10.1055/s-2006-933417; 10.1093/fampra/18.6.586; 10.1055/s-2006-933417; 10.1503/cmaj.100212