Folgenschwere Infektion – was wissen wir über EBV?
EBV soll für 2% aller Krebserkrankungen und Multiple Sklerose verantwortlich sein. Fast jeder Mensch über 30 ist infiziert. Wo steht die Forschung?
Lupus, Multiple Sklerose, Lymphom – das Epstein-Barr-Virus verursacht nicht nur infektiöse Mononukleose, sondern vermutlich auch viele weitere Erkrankungen. Das Wissen um akute und langfristige, benigne und maligne Folgen wächst stetig. Welche Informationen sind für die Praxis relevant und wann ist mit einer Impfung zu rechnen?
Auf einen Blick
- EBV: Ein Steckbrief
- EBV und die infektiöse Mononukleose (Pfeiffer-Drüsenfieber)
- Maligne Folgeerkrankungen einer EBV-Infektion
- Benigne Folgeerkrankungen einer EBV-Infektion
- Die EBV-Impfung: Ein Ausblick
EBV: Ein Steckbrief
Wie alle Herpesviren ist das Epstein-Barr-Virus (EBV) behüllt und trägt eine doppelsträngige DNA. Per Tröpfchen-, Schmier- oder Kontaktinfektion stecken sich vor allem Kinder mit dem Virus an. Bis zum 30. Lebensjahr sind etwa 90% der Bevölkerung durchseucht. Insbesondere der Speichel ist hochinfektiös, weshalb die durch EBV verursachte infektiöse Mononukleose auch “Kusskrankheit” heißt. Einmal im Körper, persistiert das Virus dort lebenslang.
EBV und die infektiöse Mononukleose (Pfeiffer-Drüsenfieber)
Während bei Kindern eine EBV-Infektion häufig asymptomatisch verläuft, erkrankt etwa ein Drittel der infizierten Jugendlichen und Erwachsene an infektiöser Mononukleose. Leitsymptome sind Fieber, Lymphadenopathie und Angina tonsillaris mit weiß-gräulichem Belag. Die Tonsillen müssen aber nicht entzündet sein, auch eine bloße Pharyngitis kann vorliegen. Obwohl schwerwiegende Komplikationen wie Milzruptur, Atemnot oder Hepatitis auftreten können, verläuft die infektiöse Mononukleose meist selbstlimitierend und bedarf einer rein symptomatischen Therapie. ASS oder Paracetamol sollten dabei aber nicht zum Einsatz kommen, da sonst das Reye-Syndrom und hepatische Komplikationen drohen. Der Speichel betroffener Personen bleibt übrigens noch bis zu 180 Tage nach Symptombeginn infektiös.
Maligne Folgeerkrankungen einer EBV-Infektion
Einmal im Körper, infiltriert EBV humane B-Zellen und Epithelzellen des Mund- und Rachenraums. Dort fährt es im Verlauf seine Genexpression von etwa 100 auf neun Proteine zurück. Diese Latenzproteine ermöglichen es dem Virus, lebenslang im Körper zu verweilen, ohne dass es T-Zellen erkennen und zerstören können. Gleichzeitig spielen Latenzproteine eine wichtige Rolle bei der Entstehung von jährlich etwa 200.000 Krebserkrankungen, die mit EBV-Infektionen in Verbindung gebracht werden. So führt das Virus beispielsweise dazu, dass sich bei der Mitose mehr als zwei Spindelapparate bilden und sich die Chromosomen so nicht mehr gleichmäßig auf die Tochterzellen verteilen. Mit einer EBV-Infektion assoziiert sind zum Beispiel der Morbus Hodgkin, aber auch Non-Hodgkin-Lymphome wie das Burkitt-Lymphom sowie solide Tumoren wie das Nasopharynxkarzinom.
Benigne Folgeerkrankungen einer EBV-Infektion
EBV und die Multiple Sklerose
Ein Zusammenhang zwischen EBV-Infektionen und dem Auftreten von MS ist seit Langem belegt. Im Januar dieses Jahres sorgte eine im Fachmagazin Science veröffentlichte Studie aber für Aufsehen: Die Forschenden beobachteten über zwei Jahrzehnte mehr als 10 Millionen Angehörige des US-Militärs. Von allen Personen, die während dieses Zeitraums eine MS entwickelten und von denen auch Blutproben vorlagen (n=801), war nur eine einzige EBV-negativ. Im Median vergingen fünf Jahre von den ersten EBV-positiven Blutproben bis zum Ausbruch der Autoimmunerkrankung. Außerdem ordneten die Forschenden allen MS-Erkrankten je zwei in Alter, Geschlecht, Ethnizität und weiteren Eigenschaften vergleichbare gesunde Kontrollpersonen zu: Die MS-Erkrankten zeigten dabei eine deutlich höhere Serokonversionsraten gegenüber EBV als ihre Kontrollen. Insgesamt steigerte eine EBV-Infektion das Risiko, an MS zu erkranken, um den Faktor 32. Zum Vergleich: Bis dahin galt die Homozygotie eines bestimmten humanen Leukozyten-Antigens (HLA-DR15) mit einer etwa dreifach erhöhten Krankheitsgefahr als gewichtigster Risikofaktor. Die Studienautor:innen folgerten daraus, dass eine EBV-Infektion nicht nur ein Risikofaktor, sondern die Hauptursache der MS sei und sich die Krankheit durch eine EBV-Impfung daher künftig vielleicht verhindern ließe.
Ob Ursache oder Risikofaktor: EBV spielt in der Entstehung der MS eine wichtige Rolle, und Verdachtsdiagnosen oder bestehende MS-Diagnosen ohne EBV-Antikörper-Nachweis sollten kritisch hinterfragt werden.
EBV und weitere Autoimmunkrankheiten
Über kreuzreaktive Autoantikörper gegen Myelin und Ganglioside kann EBV auch das Guillain-Barré-Syndrom auslösen. Dabei schädigen Autoantikörper die Myelinscheiden von peripheren Nerven, Nervenwurzeln und Hirnnerven und verursachen so die typischen aufsteigenden, symmetrischen Lähmungen.
Außerdem untersuchen zahlreiche weitere Studien EBV als mögliche Ursache anderer Autoimmunkrankheiten wie des systemischen Lupus erythematodes (SLE) oder der rheumatoiden Arthritis (RA). Betroffene suchen hierzu häufig Informationen im Internet, die sie dann nur schwer einordnen können. Um in der Praxis für Klarheit zu sorgen, können zwei systematische Reviews helfen: Hinsichtlich der RA zeigte eine große Metaanalyse aus dem Jahr 2015 keinen Hinweis auf eine EBV-Infektion als Risikofaktor oder Ursache. Für die Entstehung eines SLE könnte EBV allerdings mitverantwortlich sein: Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2014 zeigte, dass SLE-Patient:innen über 25 Fall-Kontroll-Studien hinweg signifikant höhere EBV-Antikörper-Titer aufwiesen als die gesunden Kontrollen.
EBV und myalgische Enzephalomyelitis / chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS)
Etwa die Hälfte aller ME/CFS-Patient:innen erkrankt akut postinfektiös. Zahlreiche Fälle konnten mit EBV in Verbindung gebracht werden. Das Leiden geht unter anderem mit starker, anhaltender Fatigue, Muskel- und Kopfschmerzen sowie neurokognitiven Einschränkungen einher. Menschen mit persistierender Erschöpfung nach EBV-Infektion zeigen veränderte Expressionsraten in Genen, die für die Mitochondrienfunktion kodieren. Außerdem scheint EBV auch direkt mit Mitochondrien zu interagieren und deren Funktion zu stören, was einen möglichen Erklärungsansatz für die chronische Fatigue darstellen könnte.
Die EBV-Impfung: Ein Ausblick
Das US-amerikanische National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) startete im März dieses Jahres eine Phase-I-Studie mit einem möglichen Impfstoffkandidaten: 40 Proband:innen erhalten dabei einen Nanopartikel-Impfstoff, der das EBV-Glykoprotein 350 ins Visier nimmt. So soll verhindert werden, dass EBV an B-Zellen anhaftet und diese infiltriert. Die Studie läuft noch bis ins Jahr 2025. Von Dezember 2021 und bis 2024 testet außerdem das US-amerikanische Biotechnologieunternehmen Moderna einen möglichen mRNA-Impfstoff gegen EBV. Dieser soll ebenfalls die Zelladhäsion des Virus unterbinden.
Auch das Helmholtz Zentrum München hat einen aussichtsreichen Impfstoffkandidaten entwickelt. Dabei stehen Virus-ähnliche Partikel (VLPs) im Fokus. Diese bestehen aus einer Membran und verschiedenen Virusproteinen, beinhalten aber kein EBV-Erbgut. Die VLPs täuschen dem Körper eine EBV-Infektion so gut vor, dass er sie mit einer hochspezifischen Immunantwort bekämpft und so eine Immunität entwickelt. Klinische Studien sollen im Jahr 2023 starten.
Zahlreiche weitere Forschungsgruppen arbeiten an möglichen Vakzinen. Ein effektiver Impfstoff könnte schätzungsweise 2% der weltweiten Krebsfälle verhindern und auch hinsichtlich der immunologischen und neurologischen Folgeerkrankungen einen Paradigmenwechsel einleiten. Vor dem Hintergrund, dass beispielsweise das Burkitt-Lymphom in Äquatorialafrika endemisch und dort wahrscheinlich zu 100% EBV-assoziiert ist, muss es uns gelingen, künftige Impfstoffe fair zu verteilen sowie für die ganze Welt finanzierbar und verfügbar zu machen.
EBV spielt eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Multiplen Sklerose. Im AMBOSS-Podcast beschreibt PD Dr. L. A. Gerdes vom Institut für klinische Neuroimmunologie der LMU München, wie sie der Natur der Krankheit auf den Grund gehen und deren Trigger identifizieren möchte. Eine großangelegte Zwillingsstudie soll dabei helfen.
Quellen
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