Depression: 5 Tipps für die Praxis

Maria Strandt - Sonntag, 26.3.2023
Gesicht einer ernst schauenden Frau, die auf einem Stuhl sitzt und sich nach vorne beugt. Unipolare Depression im AMBOSS-Blog.

Etwa jede zehnte Frau und jeder 20. Mann in Deutschland leiden an einer Depression. Die erste Anlaufstelle für Betroffene sind oft Niedergelassene. Was ist wichtig bei Anamnese, Krankschreibung und Co.?

Die unipolare Depression ist keineswegs ein Spezialthema der Psychiatrie – in allen Fachbereichen treffen Behandelnde auf Menschen, die an der Volkskrankheit leiden. Insbesondere in der allgemeinmedizinischen Praxis stellen sich viele Erkrankte vor. Doch wie lassen sich depressive Symptome wie Suizidgedanken gezielt abfragen? Wie können Betroffene die Wartezeit auf einen der raren Psychotherapieplätze überbrücken und wann ist eine stationäre Behandlung indiziert? Darüber klärt der Psychiater und Vorsitzende der Deutschen Stiftung Depressionshilfe Prof. Ulrich Hegerl im Gespräch mit AMBOSS auf. 

Auf einen Blick

  1. Symptome einer Depression aktiv explorieren
  2. Suizidalitätsanamnese bei Depression vorbereiten
  3. Red Flags und stationäre Behandlungsoptionen bei Depression kennen 
  4. Wartezeiten bei Depression mit digitalen Anwendungen überbrücken
  5. Krankschreibung bei Depression: über Vor- und Nachteile aufklären
  6. Direkt zur Podcastfolge

Symptome einer Depression aktiv explorieren

Nicht alle Betroffenen stellen sich primär mit psychischen Symptomen wie Freudlosigkeit vor. Auch wenn Patient:innen einen hohen Leidensdruck beispielsweise durch Tinnitus oder Rückenschmerzen angeben, empfiehlt Prof. Ulrich Hegerl, genau nachzufragen: „Wie ist es mit dem Schlaf? Wie ist der Appetit? Haben Sie Gewicht verloren?“ Ergeben sich Hinweise auf eine depressive Episode, kann dem Psychiater zufolge auch eine Frage nach den Zukunftsvorstellungen weiterhelfen: „Gibt es Hoffnung oder ist die Verzweiflung ganz tief?“ Um die Verdachtsdiagnose weiter abzuklären, sollten Behandelnde sich an den Leitsymptomen orientieren, so Hegerl: gedrückte Stimmung, Interessenverlust und Antriebslosigkeit.

Mit welchen konkreten Fragen Behandelnde eine depressive Symptomatik abklären können, lässt sich auch im Kapitel Unipolare Depression nachlesen.

ZUM AMBOSS-KAPITEL

Suizidalitätsanamnese bei Depression vorbereiten

Selbsttötungsgedanken zu erfassen, gehört verpflichtend zur Depressionsanamnese dazu. Jedoch fällt es nicht immer leicht, offen nach einem sensiblen Thema wie Suizidalität zu fragen. Hegerl rät daher, sich bereits im Vorfeld einen Gesprächseinstieg zurechtzulegen. Behandelnde könnten sich etwa sorgenvoll äußern: „Auf mich machen Sie einen ganz verzweifelten Eindruck. Ich mache mir große Sorgen um Sie. Haben Sie denn finstere Gedanken? Haben Sie vielleicht einmal daran gedacht, sich etwas anzutun?“

Der Psychiater empfiehlt, die weitere Suizidalitätsanamnese gedanklich in zwei Teile zu teilen: Im ersten Teil gehe es darum, ein Gefühl für das Ausmaß des Suizidrisikos zu bekommen.. Dazu eignen sich laut Hegerl Fragen wie: „Haben Sie Suizidversuche in der Vorgeschichte?“, „Haben Sie Vorbereitungen getroffen?“ oder „Standen Sie schon einmal kurz davor, sich etwas anzutun?“ Im zweiten Teil sollten Behandelnde dann der jeweiligen Situation entsprechend angemessene Hilfe anbieten. Das kann zum Beispiel bedeuten, die Person kurzfristig wieder einzubestellen, Angehörige hinzuzuziehen oder eine stationäre Einweisung zu erwirken.

Red Flags und stationäre Behandlungsoptionen bei Depression kennen 

Schätzen Behandelnde das Suizidrisiko als sehr hoch ein, ist laut Hegerl eine akute stationäre Behandlung indiziert. Weitere Gründe für eine Krankenhauseinweisung sind wahnhafte Depressionen sowie manisch-depressive Erkrankungen. Besteht akute Eigen- oder Fremdgefährdung, kann eine Einweisung auch gegen den Willen der betroffenen Person erfolgen. Das sind dem Psychiater zufolge Extremfälle, auf die Behandelnde allerdings vorbereitet sein sollten. Dabei sei entschlossenes Handeln gefragt, selbst wenn Erkrankte dies zunächst als Entzug ihrer Freiheit wahrnehmen. Langfristig könnten Betroffene das Eingreifen vielleicht sogar nachvollziehen, so Hegerl: „Das wird ein Patient viel eher verstehen, als wenn er rausgeht und zum Beispiel einen Suizidversuch macht und traumatisiert ist.“ In so einem Fall könnten Patient:innen den Behandelnden Tatenlosigkeit vorwerfen: „Sie haben ja nichts getan!“

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Wartezeiten bei Depression mit digitalen Anwendungen überbrücken

Ist eine ambulante Behandlung möglich, so sind unter anderem Antidepressiva und Psychotherapie wichtige Therapieoptionen. Bis ein Therapieplatz frei wird, können jedoch Monate vergehen. In der Zwischenzeit stellen digitale Gesundheitsanwendungen eine weitere nicht-pharmakologische Behandlungsmöglichkeit dar. Auch die Stiftung Deutsche Depressionshilfe bietet ein kostenloses Tool an, das Behandelnde nach einer Online-Schulung Betroffenen zur Verfügung stellen können. Allerdings können derartige Programme nur richtig wirken, wenn sie professionell begleitet würden, so Hegerl. Er rät, beim nächsten Termin in der hausärztlichen Praxis nachzufragen: „Haben Sie es denn genutzt? Gibt es Fragen? Hilft es?“ Auch Protokolle zum Schlaf und zum Verlauf der Depression, wie sie viele dieser Programme enthalten, eignen sich dem Psychiater zufolge zur gemeinsamen Besprechung.

Krankschreibung bei Depression: über Vor- und Nachteile aufklären

Die nationale Versorgungsleitlinie empfiehlt, vor der Bescheinigung einer Arbeitsunfähigkeit auf mögliche Vor- und Nachteile hinzuweisen. Bei einer schweren Depression ist sie laut Hegerl unumgänglich: „Da sind die Menschen nicht mehr in der Lage, sich selber zu versorgen.“ Bei

einer leichten Depression könnten manche Menschen allerdings noch weiterarbeiten, wenn das Vertrauensverhältnis zu Kolleg:innen und Vorgesetzten es zulasse. „Da ist es manchmal besser, im Rhythmus zu bleiben, sodass man aufstehen muss, nicht liegen bleibt, sodass man auch beschäftigt ist und nicht permanent grübelt“, so der Psychiater. 

Außerdem sollten Behandelnde aufhorchen, wenn eine Krankschreibung immer wieder verlängert werde, die Depression sich aber trotz Therapie nicht bessere. „Das ist nichts, was man akzeptieren soll“, sagt Hegerl. Wenn nach zwei Wochen keinerlei Effekte einer Behandlung spürbar seien, bestehe Handlungsbedarf: „Da ist es dann besser, aktiv zu werden und im Sinne des Stufenplans eine andere Behandlung anzustreben.“

Zur Podcast-Folge „CME-Kurs Depression“ mit Prof. U. Hegerl

Weitere Tipps zur Anamnese und Behandlung bei Depression gibt Prof. Ulrich Hegerl in der Podcast-Folge zum CME-Kurs „Unipolare Depression“.

 

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